Bayreuth, den 2.7.17 Lukas 15,1-10

Liebe Gemeinde! 

Ums Suchen und Finden geht es in den beiden Geschichten, die ich eben vorgelesen habe. Ums Suchen und Finden geht es auch in der Geschichte, mit der ich beginnen möchte:

Ein kleiner Junge aus einem Dorf verirrte sich abends im Wald und wurde von seinen Eltern vermisst. Das ganze Dorf nahm Anteil an der Sorge der Eltern und machte sich auf die Suche. Landwirte rannten aus ihren Ställen, Kaufleute verließen ihre Geschäfte, Handwerker machten ihre Werkstätten dicht, Hausfrauen ließen das Abendessen kalt werden, eine Kirchenversammlung wurde abgebrochen, und alle kamen zusammen, um den Jungen zu suchen.

Nach stundenlanger Suche und unter Einsatz aller Kräfte und Mittel wurde das vollkommen verängstigte Kind schließlich gefunden. Wie freuten sich alle mit den Eltern über den glücklichen Ausgang.

Zwanzig Jahre später ist der Junge erwachsen. Er ist erneut in die Irre gegangen und hat sich im Gestrüpp des Lebens verfangen. Aber niemand sucht nach ihm. Vater und Mutter sind eifrig dabei, Geld zu verdienen. Die Kirchenversammlung berät den neuen Haushaltsplan. Nachbarn und Freunde haben mit ihren eigenen Sorgen und Problemen zu tun. Es wird kein Notruf ausgesandt. Keine Suche beginnt. Alle lassen den Jungen in viel größerem Unglück allein. Wenn ein Mensch in seiner Sünde verlorengeht, ist das viel schlimmer. Aber niemand macht sich auf, um ihn zu suchen.

Aber Jesus hat sich aufgemacht, um solche Menschen zu suchen. Es sind solche mit einem unsoliden und unmoralischen Lebenswandel. "Sünder" nennt sie hier Jesus mit einem Begriff. Dann waren auch Zolleinnehmer dabei, habgierige Leute, die ihren an und für sich ehrenwerten Beruf zum Betrug missbrauchten. Oft viel zu viel Geld nahmen sie etwa Händlern ab, die in eine Stadt wollten, um dort ihre Waren zu verkaufen. Auf diese Art und Weise wurden sie oft steinreich, wie ein Zachäus, von demdas Lukasevangelium vier Kapitel später erzählt.

Verloren nennt sie Jesus hier, Menschen, die im Getriebe und dem Wirrwarr ihres Lebens Gott aus den Augen verloren haben. Vielleicht glaubten sie noch an ihn. Aber er spielte in ihrem Leben keine Rolle. Sie hatten mit ihm keine Verbindung.

"Verloren", das ist ein schlimmes Wort. Denn ein Verlorener geht nicht dem Himmel entgegen sondern der Hölle. Aber die Pharisäer und Schriftgelehrten zur Zeit Jesu sahen den Zustand dieser Menschen nicht. Oder er war ihnen egal. Sie sahen nur ihre Verdorbenheit, ihre Unmoral, ihre Sünde. Und allzu gern setzten sie sich von ihnen ab. Sie waren ja gut. Sie hielten sich ja an die Gebote Gottes, im Gegensatz zu den Zöllnern und Sündern. Mit denen wollten sie nichts zu tun haben, absolut nichts. Ihr Lebenswandel könnte ja irgendwie abfärben. Man könnte ihnen auch nachsagen, dass sie das gut heißen, was diese Leute so trieben. Aber dieser Jesus gab sich mit ihnen ab. Seltsam! Anstößig! Unerhört! Das gehört sich nicht! Das macht kein anständiger Jude.

Unsere Kirche in Deutschland sieht auch weithin den verlorenen Zustand ihrer Mitglieder nicht. Sicher, sie kümmert sich um Randgruppen unserer Gesellschaft, sie kümmert sich um Flüchtlinge, gleich welcher Religion. Und das ist gut so. Es ist richtig und wichtig, wie der Barmherzige Samariter die Menschen, die handfeste Hilfe brauchen, nicht auf der Straße liegen zu lassen sondern ihnen das zu geben, was sie brauchen, wie materielle Hilfe, Bildung oder einfach menschliche Zuwendung. Das machen wir hier in unserer Gemeinde mit unserer offenen Kinder- und Jugendarbeit ja auch. Aber das ist nicht alles. Es geht beim Auftrag der Kirche um mehr, eben um Rettung von Verlorenen.

Theologieprofessor Eberhard Jüngel richtete einmal an die Mitglieder der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland folgende Warnung: "Wenn die Kirche ein Herz hätte, ein Herz, das noch schlägt, dann würden Evangelisation und Mission den Rhythmus des Herzens der Kirche in hohem Maße bestimmen. Und Defizite bei der missionarischen Tätigkeit der christlichen Kirche würden sofort zu schweren Herzrhythmusstörungen führen."

Dieses Herz für die Verlorenen schlägt kaum noch. Kein Wunder, wenn unsere Kirchen schrumpfen, und man wohl schon in einigen Jahren nicht mehr von einer Volkskirche sprechen kann, weil die Mehrheit unseres Volkes aus ihr ausgetreten ist, - wenn nicht eine Trendwende eintritt.

Warum ist das nur so? Warum hat Evangelisation und Mission bei vielen kirchlichen Mitarbeitern den Geschmack von kaltem Kaffee? Pfarrer Busch aus Essen hat schon vor Jahrzehnten auf diese Frage eine Antwort gegeben. Er sprach vor der Pfarrerschaft Hannovers über das Thema "Was fehlt uns am meisten?" Als Antwort gab er: Es fehlt uns die Angst, dass unsere Gemeindeglieder und auch wir(!) verloren gehen können. Er hat recht. Es ist uns die Dimension der Ewigkeit verloren gegangen. Wir glauben vielleicht noch an den Himmel aber nicht mehr an die Hölle. Der Glaube an die Hölle hat nichts mit einem grausamen Gott zu tun, aber mit dem Glauben an Menschen, die sich von Gott entfernen, die ohne ihn leben und somit sich selber die Hölle wählen.

Wir modernen Menschen nehmen solche Glaubensaussagen nicht mehr ernst. Aber Gott tut es. Deshalb ist er ja Mensch geworden. Deshalb hat er ja einen Heiland, einen Retter, in diese Welt gesandt. Das ist Jesus. Warum hat er das getan? Um uns von der ewigen Verlorenheit zu retten. Und zwar uns alle. Wir neigen zwar gerne zu der Meinung: "Ich bin doch ein guter Mensch. Was habe ich denn schon viel Böses getan?" Wer so denkt, der kennt sich nicht. Der weiß nicht, dass sein ganzes Wesen von der Sünde verdorben ist, dass sein Leben letzten Endes sich doch um sich selbst gedreht hat und nicht um Gott und seinen Mitmenschen. Und er kennt auch Gott nicht, den er für einen harmlosen Märchenonkel hält, der es mit seinen Geboten schon nicht so genau nimmt.

Um uns von der Verlorenheit zu retten, ist Jesus in Bethlehem geboren. Sein ganzes Leben war eine Suche nach Verlorenen. Nach ihnen hielt er Ausschau, wie dieser Hirte, von dem er erzählte und wie jene Frau. Der Hirte suchte sein verlorenes Schaf. Es war ihm so wichtig, dass er die 99 Schafe alleine ließ, um dieses eine zu suchen. Welch eine Mühe verwendete er darauf, um es zu suchen, bis er es fand. Bei der Frau war es ebenso. Sie stellte in ihrem Haus alles auf den Kopf. Denn sie wollte unbedingt ihre verlorene Münze finden. Sie gab keine Ruhe, bis sie sie fand.

Der Hirte und die Frau haben alles investiert, um das Verlorene zu finden. Ebenso hat Jesus alles investiert, um die verlorene Menschheit zu retten. Er hat sogar sein Leben investiert. Am Kreuz starb er einen schmutzigen Verbrechertod, damit wir in den Himmel kommen. So lieb hat er uns.

Jesus tut alles für dich, wirklich alles, um dich zu finden. Und er schließt keinen von seiner Suche aus. Es ist ihm keiner zu gering, keiner zu unbedeutend, keiner zu dumm, keiner zu jung oder zu alt. Es ist eher umgedreht: Gerade solchen Menschen, gerade denen, die von Vielen übersehen oder abgelehnt werden, geht er nach, bis er sie findet.

Eine solche "Finde-Geschichte" möchte ich Ihnen erzählen. Es ist eine sehr schlichte Geschichte. Aber gerade solche Geschichten sind oft sehr wichtig und wegweisend.

Ein kleines Mädchen klopft Nachts bei einem Pfarrer. Es fragt ihn: "Könntest du mitkommen und meine Mutter heimbringen?" Es dauert eine Weile, bis er begreift, was das Mädchen will. Ihre Mutter liegt im Sterben. Und sie möchte in den Himmel kommen. Aber sie weiß nicht wie.

Der Pfarrer begleitet das Mädchen. Sie kommen in eine ärmlich eingerichtete Wohnung. Dort liegt die Mutter des Mädchens sterbend in einer Ecke.

Die Frau fragt den Pfarrer: "Können Sie irgendetwas für eine Sünderin wie mich tun? Ich habe mein Leben lang ohne Gott gelebt und jetzt sterbe ich und fühle, dass ich in die Hölle komme. Aber dahin möchte ich nicht. Ich möchte in den Himmel kommen! Was soll ich nur tun?"

Der Pfarrer ist ratlos. Bisher hatte er immer gepredigt, dass man sich bessern soll und seinen Charakter ändert. Dann kommt man zu Gott. Aber diese arme Seele kann sich ja nicht mehr ändern. " Da fällt ihm ein, was seine Mutter oft zu ihm gesagt hat, als er noch ein kleiner Junge war. Das sagte er ihr: "Meine liebe Frau, Gott ist sehr gnädig und freundlich. In seinem Buch, der Bibel, sagt er: 'Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.'" Nach einem Augenblick der Stille rief die sterbende Frau aus: "Das sagt die Bibel? Mir! Das muss mich in den Himmel bringen! Aber Herr Pfarrer, was ist mit meinen Sünden?"

Er war erstaunt über die Wirkung des Bibelwortes auf die Frau. "Liebe Frau", fuhr er fort, "die Bibel sagt, dass das Blut, das Jesus Christus für uns vergossen hat, uns von aller Sünde befreit."

"Alle Sünde, haben Sie das gesagt?", fragte sie ernst. "Heißt es wirklich: ALLE Sünde? Das muss mich hineinbringen!"

"Ja", sagte der Pfarrer. "Es heißt alle Sünden. Gottes Wort sagt außerdem: Denn das ist unumstößlich wahr und gilt für jeden: Jesus Christus ist in die Welt gekommen, um uns gottlose Menschen zu retten. Ich selbst bin der Schlimmste von ihnen." "Wie gut", sagte sie, "wenn der Schlimmste hineinkam, dann kann ich auch kommen. Bitte beten Sie für mich."

Der Pfarrer beugte sich nieder und betete mit der armen Frau. So wie sie war, kam sie zu Jesus, der niemals jemanden von sich stößt. Und sie kam hinein!

"Und bei dieser Gelegenheit", berichtete der Pfarrer später, "während sie hineinkam, kam auch ich selber hinein. Wir zwei arme Sünder, der Pfarrer und diese arme Frau, öffneten zusammen in dieser Nacht unser Herz für Jesus und damit die Tür zu unserer Errettung."

So hat Jesus in dieser Geschichte zwei verlorene Menschen gefunden. Beide hatten sie vor Gott nichts vorzuweisen, die Frau nicht, aber auch das ordentliche Leben des Pfarrers brachte ihn nicht in den Himmel. Beide waren Sünder, so wie es in der Bibel heißt: "Denn darin sind die Menschen gleich: Alle sind Sünder und haben nichts aufzuweisen, was Gott gefallen könnte."

So ging auch diesem Pfarrer auf: Auch ich bin trotz meiner Frömmigkeit ein verlorener Mensch, der den guten Hirten braucht, der ihn heimträgt.

Das muss uns auch aufgehen: Das verlorene Schaf in dem Gleichnis, das ist ja nicht jemand anders, Das sind ja nicht nur die, die Dreck am Stecken haben. Das verlorene Schaf, das bin ja ich! Ich bin der, der immer wieder Gott weggelaufen ist, der so leben wollte, wie er es selber für richtig hielt und nicht nach seinem Willen fragte. Und Jesus ist ja deshalb in diese Welt gekommen, um auch mich heimzutragen.

Wer kann schon sagen: In meinem Leben gibt es nichts zu tragen? Ich brauche keine Hilfe? Ich brauche keine Vergebung? Ich brauche keinen Jesus? Wer das zugibt: Ja, ich brauche das alles, ich brauche Jesus, der mir das alles gibt, Hilfe, Vergebung und vor allen die offene Tür für den Himmel, der tut Buße. Der kehrt zu Gott um, könnte man auch sagen.

Und dann geschieht das, was Jesus nach den beiden Gleichnissen so formuliert: Es wird Freude sein vor den Engeln im Himmel über einen Sünder, der Buße tut.

Mit höchstem Interesse verfolgt der Himmel, die Engel und natürlich Gott das Schicksal von uns Menschen. Ich stelle mir das so vor: Wenn ein Mensch Buße tut, dann bricht im Himmel Jubel aus, größer als der Jubel von Zehntausenden in einem Fußballstadion, wenn das entscheidende Tor gefallen ist.

Es gibt nichts Größeres und Schöneres, als wenn ein Mensch sich der Liebe Gottes geöffnet hat. Denn wenn ein Mensch umkehrt, dann ist das so, als wenn Gott einen neuen Sohn oder neue Tochter bekommt. Ganz klar, dass er sich über Familienzuwachs freut.

Und diese Freude Gottes schwappt nun auch auf den über, der selber Buße tut. Gott freut sich und er freut sich auch. Es ist also keine menschliche sondern eine göttliche Freude, die einen Menschen dann erfüllen kann.

Ich kenne das aus meinem eigenen Leben. Als ich das erste mal begriffen habe, dass Jesus mich sucht und mich annimmt, um mir seine Vergebung zu schenken, da habe ich mich auch gefreut, wie selten vor- und nachher. Es ist wirklich das Schönste, wenn einem das Wichtigste, das Herzstück des christlichen Glaubens aufgeht: Es gibt jemand, der mich lieb hat. Der steht zu mir, in welcher Lage ich auch bin. Er tröstet mich durch sein Wort, wenn ich traurig bin. Er gibt mir in schweren Zeiten Kraft. Wenn ich wieder Sünden begehe, dann stößt er mich nicht weg. Sondern ich darf dann zu ihm kommen und er vergibt mir wieder neu.

So ist Jesus. So darfst ihn auch du erfahren, nicht nur einmal sondern immer wieder neu.

Amen