Bayreuth, den 9.7.17 1. Mose 50,15-21

Liebe Gemeinde! 

Ein älterer Herr, schon im Metallzeitalter- also Silber im Haar, Gold im Mund und Blei in den Knien, versucht vergeblich, mit seinem großen Auto in eine kleine Parklücke zu gelangen. Er probiert es vorwärts, dann rückwärts. Aber der Wagen ist zu groß, die Lücke zu klein. Da kommt ein junger Kerl mit einem schneidigen Sportwagen, saust in die Lücke, steigt aus und sagt zu dem alten Herrn: „Jung und flott muss man sein!“ Im älteren Herrn beginnt es zu kochen. Er steigt in seinen Wagen, fährt dem Sportwagen in der Lücke voll in die Seite, steigt aus und sagt bissig: „Alt und reich muss man sein!“

So geht´s in der Welt zu. Eine Schweinerei wird mit einer anderen beantwortet. Der eine schnappt mir die Parklücke weg, der andere beschädigt dafür mein Auto. Um es in dieser Welt zu etwas zu bringen, muss man seine Ellenbogen ausfahren, sich nichts gefallen lassen und es mit der Nächstenliebe nicht gar so genau nehmen. Und der gilt als dumm, der anständig leben will, ohne – zumindest gelegentlich – Lug und Trug. Deshalb sangen auch die „Prinzen“ vor Jahren dieses Lied: „ Du musst ein Schwein sein ...... Du musst gemein sein.....“

Joseph, von dem wir gerade im Predigtabschnitt gehört haben, dachte nicht so. Erstaunlicherweise. Denn die Gelegenheit war günstig, es seinen Brüdern heimzuzahlen. Offensichtlich rechneten sie selbst damit, dass er so handeln würde. Vor Angst schlotternd standen sie vor ihm. Ihr gemeinsamer Vater Jakob war tot, soeben begraben. Die 11 Brüder lebten zwar nun schon eine Weile in Ägypten. Und ihr Bruder Joseph hatte sich nicht an ihnen für ihre Gemeinheiten an ihm gerächt. Aber vielleicht, so dachten sie, nur deshalb, weil ihr Vater noch lebte. Aber der war jetzt tot.

Und dann geschah bei ihnen eine Auferstehung der besonderen Art, die Auferstehung ihrer alten Sünden, die schon längst begraben schienen. Aber nun standen sie wieder vor ihnen, als ob sie gestern geschehen wären. Joseph war der Lieblingssohn ihres Vaters Jakob. Immer wieder mussten sie erleben, wie ihr zweitjüngster Bruder vorgezogen wurde. Bis es ihnen reichte. Bis aus Neid Hass wurde. Joseph musste weg. Sie nutzten eine günstige Gelegenheit, um den ungeliebten Bruder aus den Weg zu räumen. Er hatte Glück, dass er nicht sterben musste. Ausgerechnet Sklavenhändler waren seine Lebensrettung. Denen verkauften seine Brüder ihn. Dem Vater machten sie weiß: Ein wildes Tier hat Joseph getötet.

Joseph landete als Sklave bei einem hohen Beamten des ägyptischen Pharao. Dort ging es ihm zunächst gut. Bis die Frau dieses Beamten den gut aussehenden Sklaven verführen wollte. Doch Joseph weigert sich standhaft. Und die enttäuschte Frau sorgt dafür, dass Joseph zu Unrecht ins Gefängnis kommt.

Einer besonderen Gabe verdankt er, dass er wieder nach Jahren frei kommt. Er kann Träume deuten, auch einen Traum des Pharao. Dieser merkt, dass Joseph ein ausgezeichneter Organisator mit Weitblick ist und macht ihn zum zweiten Mann im Staat.

Wieder Jahre später kommt es zu einem Wiedersehen mit seinen Brüdern. Sie wollen Korn in Ägypten kaufen, weil zu hause eine Hungersnot herrscht. Und in Ägypten gibt es genug zu Essen, dank der Weitsicht ihres Bruders. Sie erkennen ihn nicht, bis er ihnen sagt, wen sie vor sich haben. Es kommt zur Versöhnung. Jakob siedelt mit der ganzen Familie nach Ägypten über. Happyend, so sieht es aus. Aber die Geschichte von Joseph und seinen Brüdern hat noch ein weiteres Kapitel zu bieten.

Jakob stirbt. Da kommt bei Josephs Brüder die Angst hoch. Jetzt braucht er ja nicht mehr Rücksicht auf den Vater nehmen. Vielleicht wird ihr Bruder sich für all ihre Bosheiten rächen. Aber Joseph denkt nicht daran. Sein Herz ist nicht voller Bitterkeit und Unversöhnlichkeit sondern voller Barmherzigkeit und Dankbarkeit.

Von seinem Verhalten und seiner Einstellung können wir wohl alle etwas lernen. Wir kennen das ja auch, dass uns Unrecht geschieht, oft genug in der eigenen Familie. Geschwisterkonflikte gibt es nicht nur bei Joseph und seinen Brüdern sondern bis auf den heutigen Tag. Da werden Streitereien nicht bewältigt. Da bauschen sie sich über Jahre auf. Es kommt immer wieder vor: Bei der Beerdigung eines Elternteils nimmt ein Geschwisterkind nicht teil. Nicht einmal beim Tod der eigenen Eltern konnte der Streit für ein paar Stunden beigelegt werden. So habe es bei Beerdigungen, die ich hielt, auch schon erlebt.

Nicht verzeihen können, das kommt unter Familienmitgliedern vor, unter ehemaligen Freunden oder unter Arbeitskollegen. Nicht verzeihen können, das kommt auch im Verhältnis zu Gott vor. Nur nennt man dann das Gefühl "Bitterkeit".

Da hat man sich das Leben so schön vorgestellt. Aber dann kommt Vieles anders. Das können private Enttäuschungen sein. Da kann sich beruflich Manches anders entwickeln, als wir es uns gewünscht haben. Oder eine Krankheit kann durch unsere Pläne einen Strich machen. Es passt uns nicht. Es gefällt uns nicht. Wir rebellieren gegen unser Schicksal, wie wir es nennen, letztlich gegen Gott. Und dann, wenn wir diesen Gedanken freien Raum lassen, können wir bitter werden, unversöhnlich Gott gegenüber, der all das Schlimme ja zugelassen hat.

Bei Joseph sind solche Gefühle nicht zu erkennen, obwohl ja auch er Grund zur Verbitterung und Unversöhnlichkeit gehabt hätte. Er sieht sein Leben nicht als eine Kette von Schicksalsschlägen sondern von Führungen Gottes an.

Selbstverständlich ist diese Sicht nicht. Denn die Josefsgeschichte ist eine Geschichte voll von menschlichen Schwächen und Fehlern, Hass und Intrigen, Neid und Enttäuschung. Von einer Führung Gottes ist zunächst herzlich wenig zu erkennen. Aber dann, wie in einer Schlussbilanz, bekennt Josef vor seinen Brüdern "Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen." (1. Mose 50,20) Was so aussah, als ob Gott Pläne durchkreuzt und Hoffnungen zunichte gemacht hätte, hat in Wirklichkeit sein Werk vorangebracht. Durch Josef hat er das große Volk der Ägypter am Leben erhalten und seine Familie dazu.

Martin Luther hat einmal gesagt: "Die Wege Gottes sind wie ein hebräisches Buch." Im Hebräischen liest man nämlich von rechts nach links, und infolgedessen ein Buch von "hinten" nach "vorne". Erst im Rückblick konnte Josef sagen: "Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen." Im nachhinein erkannte er, auf welch verschlungenen Wegen Gott sein Werk vorangebracht hat.

Unser Leben ist wie ein großer Teppich. An ihm wird ständig gewebt und gearbeitet. Verschiedene Fäden mit unterschiedlichen Farben werden zu einem Muster zusammengefügt. Doch oft sehen wir von diesem Teppich nur die Rückseite. Diese Ansicht erscheint hässlich und planlos. Manchmal aber, im Rückblick auf unser Leben oder mit zeitlichem Abstand erkennen wir oder erahnen zumindest, dass die Vorderseite des Gewirrs unserer Lebensfäden ein wunderschönes Muster ergeben hat.

Oder ein anderes Bild: Mit unserem Leben verhält es sich so wie mit einem Künstler, der ein wunderschönes Bild malt. Doch neben ihm steht einer, der dieses Kunstwerk zerstören will. Jener spritzt dauernd Farbe auf das Bild und verunstaltet damit das Gemalte. Doch der Künstler in großer Ruhe und Souveränität und Genialität benutzt all die Spritzer und arbeitet sie in sein Kunstwerk mit ein, so dass am Schluss etwas Einmaliges und etwas ganz Schönes dasteht.

Können wir unser Leben auch so sehen? Ich kann Ihnen nur den guten Ratschlag geben, es zu tun. Es ist keine Kette von Zufällen, von Glückstreffern und Schicksalsschlägen, von schönen und chaotischen Erlebnissen. Sondern wir dürfen es eine einzigartige Geschichte mit einem uns liebenden Gott sehen.

Das heißt nicht, dass in diesem Leben alles gut war. Wenn Menschen uns verletzt haben, kann ich das nicht gut nennen. Das war böse. Wenn eine Krankheit unsere Gesundheit zerstört hat, ist das auch nicht gut sondern oftmals furchtbar. Aber Gott kann all diese Trümmer und Splitter eines Lebens zu einem wunderschönen Mosaik zusammenfügen.

Dies gilt auch für das, wo wir selber Schuld auf uns geladen haben. Wir sind ja nicht nur Opfer sondern auch Täter. "Die Menschen gedachten es böse zu machen", sagt Joseph. Wir haben ja auch Böses getan, manchmal bewusst, manchmal ohne es zu wollen. Aber was zählt, ist das Ergebnis: Wir haben anderen weh getan, wir sind an ihnen schuldig geworden und können es nicht wieder gut machen.

Aber Gott kann es, durch das, was Jesus am Kreuz getan hat. Dort ist Versöhnung geschehen zwischen Mensch und Gott. Dort ist die Macht der Sünde gebrochen.

Seitdem kann Gott eines tun: Er kann unsere unbewältigte Vergangenheit ordnen. Er kann das in Ordnung bringen, wo wir schuldig geworden sind. Wir können das nicht. Wir haben keinen Zugriff auf unsere Vergangenheit. Aber Gott ist der Herr der Zeit. Er kann durch seine Vergebung wieder in Ordnung bringen, was wir falsch gemacht haben. "Seine Gnad' und Christi Blut machen allen Schaden gut" heißt es in einem Kinderlied.

Glaub es doch, Gott sieht dich nicht bitterböse, sondern freundlich an! Er will auch dir alle Schuld vergeben, auch dich zu seinem Kind erklären, sonst hätte er doch nicht seinen Sohn für dich sterben lassen! Wir können Gott gar nicht genug Gnade, Vergebung und Liebe für unser Leben zutrauen. „ Barmherzig, geduldig und gnädig ist er, viel mehr, als ein Vater es kann, er warf unsere Sünden ins äußerste Meer, kommt betet den Ewigen an,“ heißt es in einem Glaubenslied. Es gilt auch für dich ganz persönlich: Keine Schuld mehr! Keine Sünde! Keine Angst vor Strafe! Auch keine Sorge vor der Zukunft!

Wir dürfen um Vergebung bitten, mit den Worten des Vaterunsers "Und vergib uns unsere Schuld". Und wir dürfen erfahren, wie dann tatsächlich die Last der Schuld abfällt, wie wir glauben können: Es ist wirklich alles, was uns von Gott trennt, wie weggewischt.

Weiter können wir darum bitten, es erwarten und glauben: Auch was wir an Schaden anderen Menschen zugefügt haben, kann Gott gut machen. Er kann dies Böse in seine Pläne mit einbauen und Gutes für sie daraus machen.

Joseph sieht in seinem Leben die Barmherzigkeit Gottes am Wirken. Trotz allem Bösen, das ihm Menschen zufügen wollten – Gott meinte es gut mit ihm! Mit dieser Einstellung kann ich auch anderen vergeben. Wenn ich nicht auf das Böse fixiert bin, das ich erfahren habe, sondern auf das Gute schaue, was Gott mir gegeben hat. Und wenn ich vor allen Dingen dafür dankbar bin, dass Gott mir vergeben hat.

Wem Gott seine Schuld vergeben hat, der möchte nun auch in Frieden mit seinen Mitmenschen leben. Der strebt Versöhnung mit ihnen an. Natürlich gelingt das nicht immer. Wenn wir zur Vergebung bereit sind, heißt das nicht, dass das Verhältnis zum anderen automatisch gut wird. Aber es geht uns auf jeden Fall besser, wenn Bitterkeit und Groll uns nicht mehr beherrschen.

Ich sage nicht, dass das leicht ist. Vergebung kostet auch Überwindung. Wir denken: Erst muss doch der andere sein Fehlverhalten einsehen und um Entschuldigung bitten. Oder wir denken: Ich bin mit meinen Gefühlen noch nicht so weit, dass ich vergeben könnte. Mag sein. Vor allen Dingen, wenn tiefe seelische Verletzungen da sind. Die brauchen natürlich ihre Zeit, um zu heilen genauso wie körperliche.

Aber die Bereitschaft zur Vergebung gibt diesem Heilungsprozess den entscheidenden Schub. Auch wenn die Gefühle der Bitterkeit hochkommen wollen, kann ich doch sagen: Aber ich will trotzdem vergeben. Ich will nicht ein Gefangener meiner Bitterkeit bleiben. Sondern ich will ein fröhlicher Christ werden, der nicht mehr nachtragen muss. "Nachtragen", wenn man dieses Wort wortwörtlich nimmt, bedeutet ja eine schwere Last zu tragen. Der andere, der an mir schuldig geworden ist, hat dieses Ereignis vielleicht schon längst vergessen. Aber du schleppst es immer noch mit mir herum. Lass diese Last doch lieber los. Gib sie Gott ab. Das tut dir gut.

Und was uns noch gut tut, sei zum Schluss noch gesagt: Egal, wie es dir gerade geht, egal, was die Zukunft dir noch bringt, glaube es wie Joseph: "Des Herren Rat ist wunderbar und er führt es herrlich hinaus." Er will dir nicht schaden und Böses zufügen. Er bringt dich auch nicht so lala über die Runden. Sondern er hat das Allerbeste für dich bereit.

In einem Lied von Jörg Streng heißt es: "Er wird es beweisen; Gott macht es gut! Ihm dürft ihr vertrauen, was immer ihr tut. Er ist euer Heiland. Habt fröhlichen Mut! Er wird es beweisen: Gott macht es gut."

Amen