Bayreuth, den 3.9.17 Apostelgeschichte 9,1-9

Liebe Gemeinde! 

Er war in vieler Beziehung eine Ausnahmeerscheinung: Er war hochintelligent, charakterlich einwandfrei und ungemein willensstark. Was er wollte, das setzte er durch. Eine starke Persönlichkeit. Und er wird Christ. Ich spreche von Paulus. Seine Bekehrungsgeschichte haben wir ja eben gehört.

Seine Lebensgeschichte widerlegt ein beliebtes Klischee. Das lautet: Nur schwache Leute werden Christ, nur Menschen, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen, nur Menschen, die, ja sagen wir es so: etwas einfach gestrickt sind und nicht so ganz helle sind. Aber das stimmt ja gar nicht. Bei Paulus war alles ganz anders. Er war gebildet, ein Schriftgelehrter, den der Rabbi Gamaliel unter seine Fittiche nahm. Wer ein Schüler eines solchen Spitzentheologen gewesen war, konnte nicht dumm gewesen sein. Und wer seine Briefe, die im Neuen Testament stehen, jemals gelesen hat, kann diese Meinung nur bestätigen. Dann hatte er sein Leben absolut im Griff. Er richtete es nach den 10 Geboten aus und schaffte es auch, so zu leben, wie die jüdische Religion es ihm vorschrieb. "Absolut untadelig", so sagte er im zeitlichen Abstand über sich selber von jener Zeit als jüdischer Gläubiger. Und schließlich wusste er auch, was er wollte. Die Christen lagen für ihn absolut falsch. Sie waren in seinen Augen Abtrünnige vom jüdischen Glauben und verdienten nicht nur Verachtung sondern den Tod. Dafür wollte er höchstpersönlich sorgen, nicht nur in Jerusalem und Judäa sondern auch in einer weit entfernten Stadt wie Damaskus. Mit Empfehlungsbriefen der Hohenpriester ausgestattet machte sich auf den Weg in diese Stadt.

Wieso sollte so ein Mensch Christ werden? Es sprach überhaupt nichts dafür. Paulus brauchte keinen Trost, er brauchte keinen Halt, er brachte keinen Sinn. All das hatte er schon. Aber er hatte Christus nicht.

Es wäre ein großes Missverständnis, wenn einer meint, der Glaube an Jesus sei nur für Leute mit Problemen oder die sowieso keine Freude mehr am Leben haben oder für Langweiler oder für alte Leute mit Rheuma und Gelenkschmerzen, die sowieso nichts mehr vom Leben haben und nur noch auf den Tod warten.

Auch wenn es einem gut geht, braucht er Jesus. Nicht deshalb, damit es ihm noch besser geht. Sondern damit Jesus ihm das geben kann, was er ohne ihn ganz gewiss nicht hat, das ist er selber. Das ist seine Gegenwart.

So erging es Paulus. Vor den Toren von Damaskus begegnete ihm der auferstandene Christus in einer Lichtserscheinung. Diese Erfahrung krempelte sein Leben total um. Es bekam eine Wendung von 180 Grad. Alles, was sein Leben bisher bestimmte, war für ihn vollkommen wertlos. Es kam ihm wie Dreck vor, schreibt er später über seine Lebenswende. Seine Frömmigkeit und seine Intelligenz, so erkannte er, zählten vor Gott nichts. Sein starker Wille zählte erst recht nichts. Denn er war durch falsche Zielsetzungen fehlgeleitet. Doch das wurde ihm erst durch die Begegnung mit dem auferstandenen Christus klar.

Manche meinen: Paulus hatte es ja leicht, an Christus zu glauben. Er konnte gar nicht anders. Denn Jesus hat sich ihm ja auf unwiderstehliche Art und Weise vor Damaskus geoffenbart. Ich wäre mir da nicht so sicher. Paulus brauchte Jesus bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Und er war ein willensstarker Mensch. Ein anderer hätte Jesus wohl nicht widerstehen können. Paulus schon. Auch er musste sich entscheiden, ob er diese Escheinung als einen teuflischen Spuk oder als eine Täuschung seiner Sinne abtun würde oder nicht. Auch Paulus hatte es schwer zum Glauben an Jesus zu kommen. Denn Paulus war stolz und er war selbstgerecht, also äußerst ungünstige Voraussetzungen sich zu Jesus zu bekehren. Denn nur Sünder glauben an Jesus, oder genauer gesagt, die gemerkt haben, dass sie Sünder sind. Mit dieser Erkenntnis tun sich aber fromme Menschen besonders schwer, zumindest schwerer als andere, die in ihrem Leben schlimme Dinge getan haben.

Aber Jesus will auch die Starken und Gesunden und Selbstbewussten. Denn die brauchen ihn auch. Wir alle brauchen ihn auch mit unseren Stärken, damit er uns herunterholt vom hohen Ross und wir uns nicht verrennen in unseren eigenen Gedanken. Wir müssen es auf der einen Seite lernen, uns mehr zuzutrauen, weil wir ja nicht allein sind sondern Gott uns beistehen will. Und wir müssen es auf der anderen Seite lernen, uns weniger zuzutrauen und um so mehr zu fragen, was Gott denn von uns will. Beides ist wichtig. Und beides dürfen wir uns von Gott schenken lassen.

Auch ein starker Mensch wie Paulus wurde schwach, auch ein Vorzeigefrommer ein Sünder. Vor der Begegnung mit Christus hätte er es empört von sich gewiesen, wenn man ihn als Sünder bezeichnet hätte. Er war ein anständiger, junger Mann, einer, der sein Leben nach hohen moralischen Maßstäben ausrichtete. Er nahm es, wie er selber an anderer Stelle schreibt, mit den Geboten Gottes genauer als alle anderen seiner Generation. Und doch war mit ihm etwas nicht in Ordnung. Es stimmte etwas nicht bei diesem anständigen, jungen Menschen. Er kannte Jesus und damit auch Gott nicht. Paulus konnte zwar sagen: Ich glaube an Gott. Aber er war ihm in Wirklichkeit nie begegnet. Er glaubte nur an die Buchstaben G – o – t –t, aber Gott war ihm fremd geblieben. Er fehlte in seinem Leben. Paulus lebte ohne Gott. Er war gott – los, los von Gott.

Genau das ist auch bei denen nicht in Ordnung, die keine Räuber, Mörder und Ehebrecher sind sondern anständige Christen. Es fehlt die Beziehung zum lebendigen Gott. Sündenerkenntnis besteht nicht darin, dass ich erkenne: Ich habe hie und da einen mehr oder weniger großen Fehler gemacht,, sondern dass ich merke: Ich habe gar keine Verbindung mit dem lebendigen Gott. Ich kenne den gar nicht, ohne den das Leben sinn- und zwecklos ist.

Als frommer Mensch ist es gar nicht so leicht, sich selbst auf die Schliche zu kommen, weil man sich ja für einen passablen Christen hält. Nur Gott selber kann uns überführen. Wenn er in seinem Wort der Bibel oder einer Predigt wie heute mit uns redet, dann kann es mir wie Schuppen von den Augen fallen: Auch ich bin ein Sünder, auch ich brauche die Gnade Gottes. Auch ich brauche Jesus als meinen Heiland.

Viele Menschen haben Gott gesucht und ihn schließlich auch gefunden. Manche Menschen haben Gott bekämpft, und Gott hat sie schließlich überwunden. So ging es Paulus vor Damaskus. Und so erging es in unserer Zeit Sadhu Sundar Singh aus Indien. In seiner Jugend war er ein fanatischer Gegner des Christentums. In Gegenwart seiner Eltern zerriss er das Neue Testament und warf es voller Hass ins Feuer.

Doch seine Unruhe wurde danach nur noch größer. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er betete eines nachts, Gott möge sich ihm offenbaren, sonst wolle er nicht mehr leben. In den frühen Morgenstunden des 18. Dezembers 1904 erlebte er eine Erscheinung des lebendigen Christus, den er für tot gehalten hatte. Sadhu Sundar Singh hat selbst darüber berichtet: „Bis in alle Ewigkeit werde ich nie sein herrliches und liebendes Gesicht vergessen noch die wenigen Worte, die Er sprach: ‚Warum verfolgst du Mich? Siehe, Ich bin am Kreuz für dich und die ganze Welt gestorben.’ Diese Worte wurden wie mit einem Blitz in mein Herz gebrannt, und ich fiel vor ihm zu Boden. Mein Herz war mit unaussprechlicher Freude und Frieden erfüllt, und mein ganzes Leben war vollständig verwandelt. Da starb der alte Sundar Singh, und ein neuer Sundar Singh wurde geboren, damit er dem lebendigen Christus diene.“

Und das tat er auch. Viele Länder Asiens und Europas hat Sundar Singh als Evangelist durchzogen. Seine plastische und vollmächtige Verkündigung machte ihn in der ganzen Welt bekannt.

Ein weltberühmter Mann wie Isaac Newton kam auch irgendwann einmal in seinem Leben zu dieser Erkenntnis. Als Physiker hatte er große Einsichten, die für die Nachwelt wichtig waren. Als Christ kam er ebenfalls zu wichtigen Erkenntnissen. „Ich habe in meinem Leben zwei wichtige Dinge erkannt“, so schreibt er einmal, „erstens, dass ich ein Sünder bin, und zweitens, dass Jesus ein noch größerer Heiland ist.“

Gott ist barmherzig und gnädig. Das ist kein abgedroschener Satz, eine leere Phrase, die wir nur noch gähnend zur Kenntnis nehmen. Sondern die Barmherzigkeit Gottes ist ebenso wie unsere Sünde eine erfahrbare Wirklichkeit. Ein Mann wie der Liederdichter Hiller hat sie als überwältigende Erfahrung seines Lebens besungen: „Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert; das zähl ich zu dem Wunderbaren, mein stolzes Herz hat’s nie begehrt. Nun weiß ich das und bin erfreut und rühme die Barmherzigkeit.“

Diese Barmherzigkeit Gottes, von der Hiller hier spricht, ist wirklich etwas Wunderbares. Sie wendet sich von einem, der sich als Sünder erkannt hat, nicht ab sondern sich ihm zu. Die Liebe Gottes sucht sich gerade die Liebensunwerten heraus. Wer von Gott weit weg ist, gerade dem begegnet er und kommt ihm ganz nahe. Wer erfasst hat, wie tief er in die Sünde verstrickt ist, den kann er frei von ihr machen.

Menschen, denen ihr Leben wie ein Scherbenhaufen vorkommt, kann Gott oftmals zu Schlüsselfiguren seines Wirkens machen. In ihnen und durch sie kann Gott etwas Besonderes wirken. Vom dunklen Hintergrund ihres Lebens hebt sich das Licht der Gnade um so heller und deutlicher ab. Weil sie selber in sich ein Nichts wurden, konnte Gott für sie alles werden. Gott machte sie zu gesegneten Menschen, weil sie sich selber als Sünder erkannten.

Der mittelalterliche Heilige Franz von Assisi wurde am Ende seines gesegneten Lebens gefragt, warum er soviel für Gott tun konnte. Er antwortete darauf: „Folgendes muss der Grund gewesen sein. Gott sah vom Himmel herab und sprach: Wo kann ich den schwächsten, den geringsten, den armseligsten Mann auf dieser Erde finden? Dann sah er mich und dachte: Ich habe ihn gefunden. Ich will durch ihn wirken, denn er wird sich nichts darauf einbilden und meine Ehre für sich selbst in Anspruch nehmen. Er wird wissen, dass ich ihn immer gerade seiner Niedrigkeit und seiner Unbedeutsamkeit wegen benutze.“

Ich denke auch an so einen gesegneten Mann wie Friedrich Stanger, ein einfacher Arbeiter, Alkoholiker und Gottloser. Sein Leben veränderte sich vollkommen, als er die vergebende Liebe Jesu für sich glauben konnte. Unzählige Menschen kamen gerade durch ihn zum Glauben an Jesus.

Ich denke auch an einen südafrikanischen Terroristen, der als fanatischer Kommunist die Christen zutiefst hasste. Mit seinen Kumpanen wollte er in eine Versammlung von Christen Benzinbomben werfen. Doch vor seiner Tat hörte er sich den Prediger dieser Veranstaltung an, und wurde selber ein Christ. Er ging zur nächsten Polizeistation und bekannte seine Verbrechen. Die Polizisten waren von der Ehrlichkeit und dem veränderten Wesen des Terroristen so beeindruckt, dass sie ihn nicht ins Gefängnis steckten sondern nach hause schickten. Heute ist dieser Mann selber ein Prediger der Gnade Gottes.

Diese Beispiele sollen jedem unter uns Mut machen, doch auch für sich selber an die vergebende und verändernde Gnade Gottes zu glauben. Sie steht für jeden von uns bereit, eben nicht als Idee, sondern als erfahrbare Wirklichkeit. Wir dürfen an ein Evangelium der Tatsachen und nicht der leeren Worte glauben.

Die Barmherzigkeit Gottes hat auch einen Paulus verändert. Sie hat ihn zerbrochen, hat ihn seine Stärke genommen. Wie ein Kind musste sich der blind gewordene nach Damaskus hineinführen lassen. Dort begegnete er einige Tage später dem Christen Ananias. Jesus schickte ihn zu Paulus. Er wird getauft und kann wieder sehen.

Paulus verließ sich in Zukunft nicht mehr auf seine Stärken. Er erfuhr: Die Kraft Christi ist in den Schwachen mächtig. Aber gerade durch diese Erfahrung konnte Jesus auch seine Stärken gebrauchen. Und wie!

Ohne Paulus wäre das Christentum wohl eine jüdische Sekte geblieben. Es brauchte einen blitzgescheiten Theologen wie ihn, der in seinen Briefen Jesus als Erfüllung und Überwindung des alttestamentlichen Gesetzes zeigen konnte. Es brauchte auch einen frommen Schriftgelehrten wie ihn, der von Jesus so reden konnte, dass seine Worte die Zuhörer bewegen konnte. Es brauchte auch einen willensstarken Menschen wie ihn, der sein Leben ganz und gar Jesus unterordnete, der sich nicht durch Widerstand von feindlichen Menschen abschrecken ließ und den Mut und die nötige Selbstdisziplin wie er besaß, das Evangelium im ganzen römischen Weltreich zu verbreiten. Nur ein Mann wie er war zu diesen besonderen Aufgaben in der Lage. Und er ließ sich gebrauchen.

Auch wir können uns mit unseren Stärken von Jesus gebrauchen lassen. Vielleicht hast du die Gabe, mit Kindern und jungen Menschen gut umzugehen. Wir können dich in unserer Gemeinde gut gebrauchen. Vielleicht singst du gerne. Dann setze diese Gabe auch zum Lobe Gottes in unseren Chören ein. Vielleicht denkst du: Ich habe gar keine besonderen Gaben. Auch solche Menschen kann Jesus gebrauchen. Es gibt so viele unscheinbare Dienste in einer Kirchengemeinde, die keine besondere Begabung erfordern. Es muss sie nur einer übernehmen! Außerdem kann man sich aus falscher Bescheidenheit auch täuschen. So mancher unter uns hat gebetet, dass Gott ihm zeigt, wo er etwas für ihn tun kann und auch die eine oder andere Überraschung erlebt, was Gott ihm geantwortet hat.

Gott braucht jeden unter uns. Auf jeden Fall braucht er ihn als Beter für Menschen in Not und für seine Gemeinde. Vergiss bitte nicht, diesen Dienst der Fürbitte zu tun!

Amen