Bayreuth, den 17.9.17 Markus 1,40-45

Liebe Gemeinde!

Ein amerikanischer Reporter begeleitete Mutter Teresa in den Elendsvierteln Indiens bei ihrer Arbeit. Er sah zu und ließ vom Kamerateam filmen, wie sie Kinder aus der Mülltonne auflas, die schon halbtot und verhungert waren, wie sie Sterbende von der Straße in Pflegehäuser brachte. Einmal nahm Mutter Teresa einen schmutzigen, stinkenden und von Krankheit entstellten Menschen liebevoll in den Arm und drückte ihn an ihr Gesicht. Der Reporter sagte daraufhin beeindruckt: "Nicht für 1000 Dollar würde ich so etwas tun!" Mutter Teresa antwortete ihm gütig: "Ich auch nicht!" - "Ja, wofür tun Sie es dann?" - "Ich tue es für Jesus. In jedem dieser Menschen begegnet mir Jesus selbst. Seine Liebe zu mir und den Armen bewegt mich, es zu tun!"

Es gibt also eine Liebe, die auch vor leidenden und entstellten Menschen nicht zurückschreckt, die ihnen nahe kommt, die sie berührt. Diese Liebe begegnet uns in Jesus. Und sie begegnet uns in der Geschichte, die heute unser Predigttext ist:

Lesung: Markus 1,40-45

Ein Aussätziger kommt zu Jesus. Das war nicht erlaubt. Aussatz oder Lepra ist eine furchtbare Krankheit. Wer von ihr befallen war, galt als lebender Toter. Es gibt zwei Formen: Entweder man bekommt eiternde Geschwüre im Gesicht oder am ganzen Körper. Oder aber die Krankheit äußerst sich in starken Nervenschmerzen, die eines Tages verschwinden. Doch dann sind die Glieder gefühllos, Muskeln und Knochen schwinden, Finger, Zehen und andere Gliedmaßen fallen ab. Beide Formen der Krankheit sind ansteckend.

Deshalb wurde ein Leprakranker streng isoliert. ER verlor seinen Arbeitsplatz und damit seine Existenzgrundlage. Er musste seine gewohnte Umgebung, seine Familie, verlassen. Aussätzige durften Wohnsiedlungen nicht betreten. Sie lebten in der Nähe von Dörfern und mussten jeden Gesunden durch Rufen von sich fernhalten.

Ein Aussätziger galt im alten Israel als unrein. Jede Begegnung mit einem Leprakranken überträgt seine Unreinheit. Manche Fromme bewarfen Aussätzige mit Steinen, um sie auf Abstand zu halten. Weil Israel ein reines Volk sein soll, wurden die Kranken isoliert. Sie durften auf keinen Fall am Gottesdienst teilnehmen. Das Betreten des Tempels war verwehrt. Ein Aussätziger war also getrennt von seinen Mitmenschen und auch getrennt von Gott.

So ein Aussätziger kommt also zu Jesus. Dazu gehörte viel Mut. Denn so eine Begegnung war verboten. Ein Aussätziger durfte sich nicht in der Nähe von Menschen aufhalten. In der Regel war Jesus von vielen Menschen umgeben. Der Kranke musste damit rechnen, von ihnen gesteinigt zu werden. Doch er überwand seine Angst. Es störten ihn nicht die entsetzten Blicke, die auf seiner entstellten Gestalt ruhten. Die empörten Zwischenrufe überhörte er. Er wollte zu Jesus, unbedingt. Wenn ihm einer helfen konnte, dann er.

Der Aussätzige musste schon Einiges von ihm gehört haben. In Kapernaum muss er viele Kranke geheilt haben. Er ahnt wohl: Dieser Jesus ist mehr als ein Heiler. Dieser Jesus kann ihn auch wieder in die Nähe Gottes bringen. So fällt er vor ihm auf die Knie, wie vor einem König, ja wie vor Gott. Und er sagt zu ihm: "Willst du, so kannst du mich reinigen." Er überlässt es Jesus, ob er ihm hilft. "Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden", beten wir im Vaterunser. Der Aussätzige erhebt keinen Anspruch auf Heilung. Aber er sehnt sich zutiefst danach, ja noch mehr: nach Reinigung. Er will nicht nur körperlich gesund werden. Sondern er will rein werden. Sein ganzes Leben soll wieder heil werden, die Beziehung zu den Menschen und zu Gott soll wieder hergestellt werden. Er möchte, dass seine Menschenwürde wieder hergestellt wird, dass ihn Menschen und auch Gott wieder anerkennen, als Mitglied der sozialen Gemeinschaft und als Kind Gottes.

So können wir es ja auch machen. Vielleicht ist ja auch in unserem Leben so Manches kaputt, nicht heil. Vielleicht kommen wir uns auch in manchen Bereichen unseres Lebens wie aussätzig vor. Es mag eine Krankheit sein, irgendeine Behinderung, eine bestimmte Lebenssituation, wodurch sich andere von uns zurückziehen, oder ein Verhalten von uns, das andere nervt und abstößt - aber uns selber auch.

Wir haben keine Erkrankung der Haut, aber würden manchmal am liebsten aus der Haut fahren. Wir ärgern uns und werden aggressiv. An anderen Tagen fühlen wir uns gar nicht wohl in unserer Haut. Wir wissen, dass wir Fehler gemacht haben, aber uns fehlt der Mut, sich zu entschuldigen. Oder wir haben uns eine dicke Haut zugelegt, wenn es darum geht, anderen zu helfen und tun es doch nicht. Oder manches geht uns unter die Haut. Es gibt Situationen, mit denen wir nicht fertig werden, die uns zutiefst belasten.

Egal, was es ist: Mit allem Schaden unseres Lebens, auch mit aller Sünde und Schuld dürfen wir zu Jesus kommen und ihm wie der Aussätzige sagen: "Willst du, so kannst du mich reinigen." Das ist mehr, als wenn nur irgendein Makel unseres Lebens beseitigt wird. Sondern es geht um die Veränderung unseres ganzen Lebens.

Körperliche Gesundheit und Hilfe in äußeren Dingen ist nicht das Wichtigste. Jesus hat nie gesagt: "Kommt und lasst euch heilen!" sondern: "Tut Buße und glaubt an das Evangelium." (Markus 1,15)

Pfarrer Blumhardt hatte viel Zulauf, weil es bei ihm zu wunderbaren Heilungen kam. Auch er sagte: Das Wichtigste ist nicht die Gesundheit. Das Wichtigste ist die Bekehrung. Er sagte einmal: "Wollen wir Glück und Segen und Gesundheit, und wollen wir's erlangen ohne Bekehrung, so gehen wir einen verkehrten Weg." Und weiter: "Du möchtest freilich nur gleich gesund sein; aber was tust du mit der Gesundheit, so du nicht vorher bedenkst, wer du bist, damit du droben einmal möchtest als ein Gesunder in den Himmel eingehen?"

Wie dem Aussätzigen bietet Jesus auch uns die Chance unseres Lebens. Er ist es, der uns Gott nahe bringen kann. Dafür ist er in diese Welt gekommen. Dafür hat er sich kreuzigen lassen. Lieber erlitt er die Gottesferne stellvertretend für uns am Kreuz, als dass wir die erleiden müssen. Als der Auferstandene ist er uns nahe, auch heute in diesem Gottesdienst. Er möchte, dass wir es wagen, ihm unser Leben anzuvertrauen, so wie der Aussätzige es getan hat. Er möchte, dass wir ihn als unseren Herrn anerkennen.

Und dann kommt der Moment, der das Leben des Aussätzigen von Grund auf ändert. Jesus wendet sich nicht von ihm ab sondern geht auf ihn zu und berührt ihn mit seiner Hand. "Es jammerte ihn", heißt es hier wie in manchen Stellen der Evangelien von Jesus. Das heißt, das Schicksal des Aussätzigen lässt ihn nicht kalt sondern berührt ihn zutiefst.

Jesu Liebe überwindet die Grenzen des Anstandes und des Ekels. Er sieht nicht das abstoßende Äußere dieses Mannes sondern seine Not. Vielleicht nach vielen Jahren hat ein anderer Mensch diesen Aussätzigen wieder berührt. Es muss für ihn eine unglaubliche Erfahrung gewesen sein. Da läuft einer vor meinem Elend nicht weg. Sondern er kommt auf mich zu und berührt mich mit seiner Hand!

Vielleicht hat ihm diese Berührung auch weh getan. Er war ja voller Wunden. Auf diese Wunden legte Jesus seine Hand, um ihm zu helfen.

So macht er es auch bei uns. Er legt die Finger auf unsere Wunden, wenn wir sein Wort hören, das uns zur Umkehr ruft. Das tut weh. Aber er will uns mit dieser schmerzhaften Berührung helfen. Wollen wir das? Lassen wir ihn an das ran, was bei uns nicht in Ordnung ist?

Auch wenn es zunächst weh tut: Es tut uns gut, wenn wir das zulassen, wenn er uns berührt. Dann verändert sich etwas in unserem Leben. Es muss nicht eine sofortige Veränderung unserer Situation sein. Zumindest beginnt ein Prozess. Es kommt Heil in unser Leben hinein, Vergebung, Trost, Kraft, Stück für Stück Veränderung der dunklen Bereiche unseres Lebens.

Von manchen Menschen sagt man: Er hat ein glückliches Händchen. Von dem antiken König Midas zum Beispiel erzählte man sich dies. Der Sage nach hatte er die Fähigkeit, dass alles, was er berührte, zu Gold wurde. Solche Midasse möchte viele Menschen sein. Sie träumen davon, dass alles, was sie anfassen, zu Gold wird. Unter ihren Händen soll sich alles in Reichtum und Luxus verwandeln. Dem Midas jedoch wurde diese Fähigkeit zum Verhängnis. Denn auch die Nahrung, die er zum Essen brauchte, verwandelte sich in hartes Gold. So musste er schließlich bei all seinem Gold elend verhungern. Wie viele Menschen sind bei all ihrem Reichtum seelisch verhungert und sind im Grunde ganz arm geblieben.

Wie anders war die Wirkung der Hände Jesu. Was er berührte, wurde geheilt und gesegnet, getröstet und aufgerichtet. Jesus heilte mit seinen Händen die Kranken und segnete die Kinder, er teilte den Hungrigen das Brot aus und stillte die Stürme. Er richtete Schwache auf, machte Blinde sehend und Aussätzige rein. So eine Veränderung eines Lebens kann Jesus bewirken, wenn wir nur im Gebet zu ihm sprechen: "Willst du, so kannst du mich reinigen." Er will und er tut es. "Ich will's tun. Sei gereinigt." Wenn Jesus zu einem spricht, in der Worten der Bibel oder auch in einer Predigt, dann geht davon eine Macht aus. Sie ist stärker als die Macht einer Krankheit, stärker als die Macht der Sünde, stärker als Süchte und Abhängigkeiten. So haben es viele Menschen erlebt. So kannst du es auch erfahren.

Vieles geschieht von diesem Wirken im Verborgenen. Und das ist auch gut so. Freilich sollen wir die "großen Taten Gottes" weitersagen, so wie es die Apostel getan haben. Aber manchmal ist auch Schweigen besser. Vor allen Dingen dann, wenn die Gefahr des Angebens gegeben ist. Auch hier in unserer Geschichte verbietet Jesus dem Geheilten, das an ihm geschehene Wunder weiterzusagen, und zwar mit scharfen Worten. "Er bedrohte ihn", heißt es hier. Der Mann hielt sich nicht an das Verbot. Es kam nichts Gutes dabei heraus. Jesus wurde förmlich überrannt von Menschen, die in ihm nur einen Wunderheiler sahen. Und sein eigentlicher Auftrag, die Botschaft des Evangeliums weiterzusagen, wurde verhindert, zumindest eine Zeitlang. Jesus musste an einsame Stellen flüchten. Doch auch dorthin verfolgten ihn die Hilfesuchenden.

Wir können es sicher nicht allgemein sagen, aber für den geheilten Aussätzigen wäre es richtig gewesen, wenn er nicht so viel über das geredet hätte, was Jesus an ihm getan hat. Ja, manchmal ist es wohl besser, wenn wir auf bestimmte Menschen nicht einreden und sie vom christlichen Glauben zu überzeugen versuchen. Manchmal ist besser, wenn wir lieber schweigen und mehr für sie beten, also nicht, wie es einmal jemand gesagt hat, mit ihnen über Gott reden, sondern mit Gott über sie reden. Was sie überzeugt, sind eh nicht kluge Argumente und fromme Worte. Es ist auch nicht unser vorbildliches christliches Leben. Jesus selber muss sie anrühren wie den Aussätzigen und auch ihr Leben heilen.

Natürlich gebraucht er dazu in der Regel auch Menschen. Wir wollen das Schweigegebot von Jesus an den Geheilten auch nicht als Vorwand nehmen, dass wir uns nicht zu unserem Glauben bekennen. Jeder, der uns näher kennt, soll wissen, wer wir sind, dass wir Menschen sind, die zwar auch ihre Fehler und Schwächen haben, die nicht perfekt sind, die aber an Jesus glauben, und gerade deshalb an Jesus glauben, weil sie ihn in ihrem Versagen brauchen. Jeder hat auch das Recht, von uns zu erfahren, was wir glauben. Und wir brauchen auch keine Angst zu haben, ihn zu Gottesdiensten oder evangelistischen Veranstaltungen einzuladen. Dazu sind wir auch da als Christen, dass wir als Bettler anderen Bettlern weitersagen, wo es Brot gibt. Wir sind nicht besser als andere. Aber wir wissen ja, wo es dieses Brot gibt. Das Brot, das Jesus Christus heißt.

Amen