Bayreuth, den 1.10.17 Luthers Auslegung zum 1. Glaubensartikel

"Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat, samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib (ich ergänze Mann) und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit: Für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin. Das ist gewisslich wahr."

Liebe Gemeinde! 

Das sind knappe, klassische Formulierungen Luthers. Wir verdanken sie einer großen Not. Im Jahr 1528 und Anfang 1529 besuchte Luther die Gemeinden, die durch die Reformation evangelisch geworden waren. Er war schockiert. Er traf alkoholabhängige Pfarrer an, heruntergekommene Dörfer, Gemeindeglieder, die vom christlichen Glauben, geschweige denn vom evangelischen Glauben keine Ahnung hatten. Pures Heidentum, so schrieb er an einen braunschweiger Pfarrer, fand er vor. Dagegen wollte und musste er etwas tun. So schrieb er 1529 für die Pfarrer den Großen und ein paar Monate später für die Hausväter den Kleinen Katechismus. Bildung war für Luther sehr wichtig. Ohne Wissen entsteht kein Glaube und entwickelt sich auch nicht weiter. Den Kleinen Katechismus sollten die Väter den Kindern und ihren Angestellten weitervermitteln. Später wurde er auch Grundlage für den Konfirmandenunterricht.

Im 1. Hauptstück legte Luther die 10 Gebote aus, im 2. das Glaubensbekenntnis mit seinen drei Artikeln. Der erste ist der von der Schöpfung. Was Luther dazu schreibt ist bis heute von großer Bedeutung. Es geht ihm nicht um eine abgehobene Glaubenslehre. Er schreibt nichts von dem Wunder der Schöpfung im allgemeinen sondern von sich selbst, beziehungsweise von dem Menschen, der diese Sätze liest und lernt.

Der Mensch ist nichts Besonderes, so sagt der moderne Evolutionsbiologe, ein Ergebnis des Zufalls, ein Produkt von jahrmillionenlanger Entwicklung. Luther wusste nichts von moderner Biologie, wusste nichts von den Theorien eines Charles Darwin. Er hält ganz einfach von der Beschäftigung mit der Bibel und seinem christlichen Glauben fest: Ich bin als Mensch ein wunderbares Geschöpf Gottes. Er hat mich wunderbar ausgestattet, mir Leib und Seele, Augen, Ohren, Verstand, Arme und Beine gegeben. Ich bin kein Ergebnis des Zufalls, sondern von Gott gewollt, von Gott geliebt. Ist das nicht gerade heute am Erntedankfest ein Grund, Gott zu danken?

Wir nehmen oft die Gaben unsere körperlichen, seelischen und geistigen Gaben viel zu selbstverständlich. Erst wenn wir krank sind, wenn wir gesundheitlich irgendwie gehandicapt sind, nehmen wir oft erst wahr, was es für ein Geschenk ist, wenn wir etwa gesunde Glieder haben, wenn wir jeden Tag aus dem Bett gehen und uns bewegen können.

Vor ein paar Jahren ist mir besonders bewusst geworden, wie wunderbar es ist, wenn ich einfach gehen kann. Ich hatte mir das Sprunggelenk gebrochen und durfte sechs Wochen lang mit dem kaputten Fuß nicht auftreten. Ich hüpfte mit Gehhilfen durch die Wohnung. Am Anfang zerbrach ich mir den Kopf, wie ich denn ein Blatt Papier transportieren könnte. Ich hatte ja keine Hand frei! Welch eine Wohltat war es, nach sechs Wochen wieder auftreten und beide Beine benutzen zu dürfen.

Erst wenn Gott uns etwas nimmt, merken wir, für was wir alles dankbar sein können. Es ist schon wahr, was Luther einmal sagte: " Wenn Gott in seinen Gaben auszuteilen kärger wäre, so würden wir ihm dankbarer sein. Also wenn er einen jeglichen Menschen nur mit einem Beine oder Fuße ließe geboren werden und gäbe ihm hernach im siebenten Jahr das andere Bein, im vierzehnten gäbe er ihm erst eine Hand, und im zwanzigsten Jahr die andere Hand, so würden wir Gottes Wohltaten und Gaben besser erkennen und viel werter halten und Gott dankbarer sein, wenn wir derselbigen eine Zeitlang müssten beraubt sein. Nun aber überschüttet uns Gott und gibt uns seine Gaben schier alle auf einen Haufen."

Gott hat uns überreich beschenkt. Es ist so wichtig, immer wieder darüber nachzudenken, was wir alles von ihm bekommen haben und ihm dafür danken.

Das gilt für uns selbst und auch für das, was Gott uns zum Leben gegeben hat. Luther zählt hier in seiner Auslegung zum 1. Glaubensartikel einiges auf: Kleider und Schuhe, Essen und Trinken, Haus und Hof, Familie, Acker und Vieh. Diese Worte sind an die bäuerlich geprägten Menschen seiner Zeit gerichtet. Es dürfte hier kaum ein Bauer unter uns sitzen, der mit Kühen, Schweinen oder Äckern zu tun hat. Aber Gott hat uns dafür Fahrräder und Autos, Wohnungen, oft großzügige Häuser und wunderschöne Gärten, einen Arbeitsplatz, ein Gehalt oder Ruhestandsbezüge gegeben, von denen wir genug Essen und Trinken kaufen können.

Moment mal, kann nun einer einwenden. Haben wir uns den ganzen Wohlstand nicht selber erarbeitet? Dieses Denken gab es schon zu allen Zeiten.

Da zeigt ein Bauer dem Pfarrer in seinem Dorf stolz die abgeernteten Felder, die vollen Scheunen und alles, was dazu gehört. Der Pfarrer fragt mahnend, ob der Bauer auch wisse, wem er das alles zu verdanken habe. "Ja, das weiß ich schon", antwortet der Bauer, "aber Sie hätten mal sehen sollen, wie das hier aussah, als Gott noch alles allein bewirtschaftet hat…"

Natürlich, das ist die von Gott gesetzte Aufgabe, dass wir diese Welt bebauen und bewahren, wie es im Schöpfungsbericht heißt, dass wir auch die Kräfte der Natur bändigen, unseren Verstand einsetzen, um technische Erfindungen hervorzubringen, die uns das Leben leichter machen. Das ist unser Auftrag, von Gott her. Aber ohne seinen Segen nützt uns unsere ganze Intelligenz oder Fleiß gar nichts. Wir sind immer noch Naturkatastrophen ausgeliefert, von Menschen geschaffene Klimaveränderungen können unsere Welt schneller als uns lieb ist, wieder unbewohnbar machen, wirtschaftlicher Niedergang oder nur ein Börsencrash kann Reichtümer über Nacht vernichten, menschlicher Terror oder Krieg können uns den Wohlstand wieder nehmen. Unsere Vorfahren haben das schon richtig gesehen, als sie sagten: "An Gottes Segen ist alles gelegen."

Um diesen Segen Gottes dürfen wir bitten, auf diesen Segen dürfen wir uns verlassen. Er, der Herr, lässt den nicht ungesegnet, der so betet: "Herr, wir bitten, komm und segne uns." Bei Gott ist die Fülle. Und er gibt reichlich und gern dem, der seine Hände aufhält, mit der Bitte sie zu füllen. Er versorgt mich täglich und reichlich", formuliert Martin Luther.

„Er schenkt mir voll ein“, heißt es im Psalm 23. In den Tagen Davids war der überfließende Becher etwas überaus Symbolträchtiges. Wer im alten Orient Besuch hatte, der signalisierte seinen Gästen durch den vollen Kelch, dass sie ihm willkommen waren. Wenn der Kelch jedoch nicht mehr nachgefüllt wurde, verstanden die Besucher, was der Gastgeber ihnen damit durch die Blume bedeutete. Es war nun an der Zeit, sich zu verabschieden. Wenn der Gastgeber die Gesellschaft seiner Gäste über die Maßen genoss, dann zeigte er sein Wohlgefallen dadurch, dass er den Kelch zum Überlaufen füllte. Er goss einfach weiter, bis die Flüssigkeit auf den Tisch floss.

So ist auch Gott, so ist Jesus zu uns. Er möchte uns doch nicht loshaben. Sondern er möchte uns bei sich haben, sicher aus unverdienter Liebe heraus. Er fängt doch nicht an, uns zu segnen, um dann irgendwann zu beschließen, damit aufzuhören. Er möchte uns reichlich segnen, ja sogar überreich. Seine Gnade ist wie ein Becher, der so voll ist, dass der Inhalt bereits über den Rand quillt. Das Gefäß reicht nicht aus, um die gesamte Menge aufzunehmen. Unser Herz kann die Fülle des Segens gar nicht fassen, die Gott uns schenken möchte. Er schenkt und schenkt, bis das Maß im wahrsten Sinne des Wortes voll ist und der Inhalt sich über Tisch und Boden ergießt.

Wir glauben an keinen knickrigen sondern einen großzügigen Gott. Es schrieb einmal jemand: "Für ihn ist das Kalb immer das Mastkalb, das Kleid immer ein Festkleid, die Freude immer unaussprechlich und der Friede geht über Bitten und Verstehen .... Gott gewährt seine Wohltaten nicht mit einem Zähneknirschen. Er misst seine Güte nicht mit dem Messbecher ab wie ein Apotheker die Medizin, ganz langsam und peinlich genau. Gott ist immer über die Maßen großzügig.“

Gott will uns ein Übermaß an Gnade schenken. Ob sich die Fische im Meer wohl Gedanken machen müssen, dass ihnen demnächst das Wasser ausgehen könnte? Natürlich nicht. Warum nicht? Weil es im Ozean ein Übermaß an Wasser gibt. Braucht sich ein Vogel Sorgen darum zu machen, dass der Platz am Himmel für sie kapp werden könnte? Wie sollte er? Der Himmel bietet ihm ein Übermaß an Platz.

Jesus fragte einmal seine Jünger: "Habt ihr jemals Mangel gehabt?" Ihre Antwort lautete nicht: "Es ging so." oder: "Manchmal war es schon hart." Nein, sie sagten: "Niemals, Herr!" So ist die Erfahrung von allen, die Jesus vertrauen. Er lässt sie nicht im Stich sondern gibt ihnen das, was sie brauchen und oft noch darüber hinaus.

Natürlich verwöhnt Jesus die Seinen nicht. Das heißt, sie bekommen nicht immer das, was sie wollen. Das wäre sicher auch nicht gut für sie. Weil er besser als sie weiß, was sie wirklich benötigen.

Manchmal lässt er die, die ihm vertrauen, auch in große Schwierigkeiten kommen. Und mit ihrem Verstand scheint es keine Möglichkeit zu geben, wie sie aus ihrer Not herauskommen können. Wir dürfen ja an einen allmächtigen Gott glauben, dem nichts zu schwer ist.

Martin Luther stellte einmal einem Bauern die Frage. „Was heißt denn eigentlich: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erden“? Ganz ehrlich antwortete der Bauer: „Ich weiß es nicht!“ „Ja, lieber Mann“, sagte Luther und klopfte dem Bauern dabei freundlich auf die Schulter: „Ich und alle Gelehrten wissen’s auch nicht, aber glaube nur in Einfalt, dass Gott gewiss und wahrhaftig dir, deiner Frau und deinen Kindern aus allen Nöten aushelfen kann, wenn du schon von der ganzen Welt verlassen bist – das ist Gottes Allmacht!“

So dürfen auch wir uns auf Gottes Allmacht verlassen. Je kindlicher wir vertrauen, desto lieber hilft er auch.

Auch heute in diesem Abendmahl will er uns alles schenken, was wir nötig haben, jetzt für diese Stunde, und auch für die Zeit, die vor uns liegt. Er gibt uns, glauben wir es nur. Wir brauchen nicht Sorgen wegen der Zukunft zu machen. Wir dürfen vielmehr gespannt darauf sein, wie er segnen wird, und uns alles gibt, was wir für unser alltägliches Leben und auch für unser ewiges Leben brauchen.

Erntedank ist keine fromme Pflicht, alle Jahre wieder. Nein, es sollte für uns ein Herzensanliegen sein, dass wir Gott auch dieses Jahr von Herzen dankbar sind, für das, was er uns geschenkt hat. Es muss keiner unter uns hungern, wir haben alles, was wir zum Leben brauchen. Auch für unser ewiges Leben ist gesorgt. Wir durften in den Gottesdiensten immer wieder nehmen und nehmen, uns überreichlich mit der Liebe Gottes beschenken lassen.

Verdient haben wir es nicht. Wir haben "alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit" bekommen, so Luther in seiner Auslegung zum 1. Glaubensartikel.

Für seine unverdiente Gnade verdient Gott unseren Dank, nicht nur heute sondern jeden Tag. Zum Dank gehört nicht nur, dass wir ihn im Gebet ausdrücken. Zum Dank gehört auch, dass wir von dem, was Gott uns geschenkt hat, abgeben. Wir wollen die nicht vergessen, die materielle Hilfe brauchen, wie die Hungernden in Ostafrika. Wir wollen nicht nur an uns denken sondern auch von unserem Überfluss abgeben.

Amen