Bayreuth, den 15.10.17 Markus 10,17-27

Liebe Gemeinde! 

Eine gute Adresse. Es ist wichtig, wenn man sie hat. Etwa bei einer Autoreparatur. So eine Adresse kann einem eine Menge Geld und eine Menge Ärger sparen. Oder bei einer Krankheit. Ein guter Arzt kann einem, wenn es drauf ankommt, das Leben retten.

Wenn es um die Frage nach dem ewigen Leben geht, dann ist Jesus sicherlich eine gute Adresse. Das weiß auch der reiche, junge Mann, von dem wir eben gehört haben.

Eigentlich hatte er ja alles, was man zu einem Leben braucht. Er musste sich keine Sorgen um seine Existenz machen. Denn er war reich und hatte viele Güter, heißt es hier. Das heißt, er musste nicht hungern, sondern konnte sich erlesene Speisen leisten, hatte genug zum Anziehen, sicherlich vornehme Anziehsachen, er musste nicht in einem Dreckloch hausen sondern in einem schönen Haus.

Aber es erging ihm wie vielen Reichen: All das, was er hatte, füllte sein Leben nicht aus. Irgendwie war da eine Sehnsucht in ihm, die ihm signalisierte: Das Leben muss doch noch mehr sein, als all die Güter dieser Erde zu besitzen. Es vergeht doch alles so schnell.

Der Liedermacher Wolf Biermann hat einmal ein Lied geschrieben mit dem Titel: "Soll das denn alles gewesen sein?" Darin heißt es: "Soll das denn alles gewesen sein, das bisschen Glotze und Kinderschrein? Da muss doch noch Leben ins Leben. Eben..."

Diesen Mehrwert eines Lebens versucht die Religion zu geben. Dafür ist sie ja da, dass sie dem Leben einen Sinn gibt, der über einen Menschen selbst hinausgeht. Und jetzt wird es merkwürdig und ganz wichtig: Dieser reiche junge Mann war auch religiös. Er glaubte an Gott. Und doch füllte ihn auch seine Religiosität nicht aus. Er war sich nicht sicher, ob er, wie es hier heißt, "das ewige Leben ererben wird", das heißt, ob er in den Himmel kommt.

Die Gebote bedeuteten ihm etwas und er richtete sein Leben nach ihnen aus. Selbstbewusst sagt er ja zu Jesus: Von meiner Kindheit an habe ich alle Gebote Gottes gehalten. Ich muss gestehen: Bei dieser Antwort stockt mir der Atem. Kann man das so einfach sagen? Immer die Eltern geehrt? Nie gelogen? Nie neidisch gewesen? Nie einen anderen mit Worten weh getan? Wer kann das sagen? Doch niemand!

Jesus lässt diese Antwort stehen. Er behandelt diesen jungen Mann nicht von oben herab, so wie wir es oft tun, wenn jemand etwas Dummes gesagt hat. Nein, Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb. So geht Jesus mit jedem um, der zu ihm kommt, auch heute noch. Wer zu ihm im Gebet kommt und Hilfe braucht, was es auch sein mag, den stößt er nicht weg und tut alles, was in seiner Macht steht, um ihm zu helfen, - weil er ihn liebt.

Weil Jesus diesen jungen Mann liebt, möchte er ihm auch helfen. Er kennt den wunden Punkt im Leben dieses Menschen. Das ist sein Verhältnis zu seinem Reichtum. Sein Besitz ist sein Abgott. Er ist das Wichtigste in seinem Leben, wichtiger noch als Gott, wichtiger als ein Leben mit Jesus. Deshalb fordert Jesus diesen jungen Mann auf: Lass das los. Und folge mir nach.

Er verhält sich so wie ein guter Vater. Wenn er zum Beispiel merkt, dass sein Sohn Drogen nimmt, dann sagt er ihm ja auch nicht: "Nimm sie nur weiter, wenn du sie so gerne magst." Sondern er tut alles, damit er von ihnen loskommt, - weil er ihn liebt.

Muss deshalb jeder, der Jesus nachfolgen will, all seinen Besitz verkaufen? Muss jeder ein Mönch oder eine Nonne werden? Nein, es geht Jesus um etwas anderes. Er möchte diesem jungen Mann die Augen über sich selbst öffnen. Großspurig meint er, alle Gebote gehalten zu haben. Dabei hat er ja schon das erste und das wichtigste nicht gehalten: "Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir." Sein Gott war sein Reichtum. Das ist bei jedem anders. Aber irgendeinen Gott hat jeder. Welchen Gott haben wir?

Martin Luther hat einmal einen klugen Satz gesagt, wie wir das herausbekommen können: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Fragen wir uns doch einmal so ehrlich wie möglich: Was reißt mich eigentlich wirklich hin? Was fasziniert mich zutiefst - heimlich oder offen? Wovon sind meine Lebensträume bestimmt? Was ist mir konkurrenzlos wichtig? Worauf will ich keinesfalls verzichten? Was ist die eigentliche Triebfeder meines Lebens?

Und es könnte sein, dass wir dabei entdecken: Mein Herz ist bereits vergeben. Ich habe mich schon hingegeben, aber mein „Gott“ heißt anders als der Gott, von dem die Bibel redet. Im christlichen Glauben geht es um mehr als um ein paar religiöse Gefühle. Es geht um eine Hinwendung, eine Kehrtwendung unseres Lebens zu Gott - und damit zugleich um eine Abwendung von jedem Gottersatz, von jedem Götzen. Glaube ist Hingabe an den Gott, den uns die Bibel bezeugt und den uns Jesus lieb macht. Glauben heißt: sein Herz an diesen Gott verlieren.

Natürlich kann ich meine Lebensträume von anderen Dingen oder Menschen bestimmen lassen – und nicht von Gott. Natürlich kann ich fasziniert sein von allem möglichen, - und Gott langweilt mich zutiefst. Wir haben die Freiheit dazu. Die Frage lautet nur: Tut mir das gut? Die Antwort lautet: Nein. Eine Zeitlang können einen die falschen Götter glücklich machen, aber irgendwann lassen sie mich in Stich.

Ich kann in Geld baden wie Dagobert Duck. Aber ich kann mir keine Liebe und erst recht nicht das ewige Leben kaufen. Denken wir an den reichen jungen Mann. Er hatte alles im Leben, aber er hatte Jesus nicht. Sein Herz hing an seinem Reichtum. Und dieser Gott machte ihn nicht glücklich. In der Bibel heißt es: „Er ging traurig von Jesus weg.“

Ich kann bestimmte Menschen anhimmeln, Fußballstars, Popstars, Filmstars, Politstars. Aber ich kann nicht zu ihnen beten. Wenn ich krank bin, wenn ich irgendeinen Kummer habe, wenn ich Schuld auf mich geladen habe, oder wenn ich gar sterben muss, dann kann ich doch nicht beten: „ Lieber Christiano Ronaldo, lieber Orlando Bloom, liebe Adele, hilf mir!“ Das wäre Unsinn, ja Gotteslästerung. Alle Stars, und seien sie noch so berühmt, noch so erfolgreich, noch so mächtig, sind doch Menschen, die selber oft Hilfe und Trost brauchen und irgendwann sterben müssen. Die gefeierten „Götter“ unserer Zeit, sind auch nur Menschen, die selber Gott, den wahren Gott, brauchen.

Auch die Jünger verstanden: Es geht Jesus hier nicht darum, auf allen Reichtum zu verzichten, um ihm damit näher zu kommen. Genau das hatten sie ja getan. Sie hatten alles verlassen, um ihm nachzufolgen, Familie, Besitz, alles. Trotzdem fragen sie Jesus entsetzt: "Wer kann denn dann selig werden?" Das heißt: Wer kann denn dann in den Himmel kommen?

Die Jünger haben begriffen: Irgendeinen Schatz hat doch jeder, irgendetwas oder irgendjemand, was oder den er nicht aufgeben will. Sicher, viele, aber nicht jeder, hängt an seinem Geld. Aber es gibt ja noch andere Schätze:

Wie meinen guten Ruf bei den Nachbarn oder Kollegen, für den ich nicht bereit bin, mich als Christ zu "outen". Oder meinen beruflichen Erfolg, dem ich alle Zeit, auch die Zeit mit Gott opfere. Meine Hobbys, die mir wichtiger sind als der Gottesdienst. Mein Haus, das mich der Gemeinde entfremdet. Freunde, deren Zuneigung mir wichtiger sind als die Zuneigung von Gott.

Diese Schätze sind nicht von Natur aus schlecht. Sie sind gute Gaben Gottes. Aber wenn sie mir wichtiger werden als Gott, dann sind sie meine Götzen, die mich von Jesus wegziehen.

Es ist gut, wenn es zu diesem Erschrecken kommt. Bei Martin Luther kam es zu diesem Erschrecken. Er war zutiefst davon getroffen, als er merkte, dass die Sünde sein ganzes Leben durchzog, sein ganzes Wesen bestimmte. Deshalb fragte er sich auch: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Bei Paulus kam es zu diesem Erschrecken, so dass er bekannte: Ich elender Mensch. Wer wird mich erlösen? Bei den Jüngern kam es zu diesem Erschrecken: Wer kann dann gerettet werden?

Ja, wer kann dann gerettet werden? Eben gerade der, der gemerkt hat, dass er so, wie er ist, nicht in den Himmel hineinpasst. Wer seine Verlorenheit erkennt, der darf glauben, dass er gerettet ist. Wer gemerkt hat, dass er von Gott durch sein Leben, durch sein Verhalten, ganz weit weg ist, der darf wissen, dass Gott ihm ganz nah ist, durch das, was er getan hat, durch das Leiden und Sterben Jesu am Kreuz. Er nimmt mir meine Sünde und schenkt mir dafür seine Vergebung.

Wer erkannt hat, dass er ein großer Sünder ist, darf sich freuen. Denn die größten Sünder liebt Jesus am meisten. Und wer unter seiner Sünde leidet, wer denkt: "So, wie ich lebe, bin ich unmöglich. Das, was ich getan habe, ist unverzeihlich!" Gerade dann hat Jesus ihn besonders lieb. Gerade die unmöglichen Typen kann er total umkrempeln. Und die unverzeihlichen Sünden vergibt er ganz und gar, als ob sie nie geschehen wären. Ja, je tiefer einer unten bist, desto höher kann er ihn aus dem ganzen Sumpf herausziehen.

Diese wunderbare Botschaft glaube auch du für dich ganz persönlich! Sie wird dich glücklich machen und dein Leben verändern. Jesus möchte zu dir. Lass ihn doch rein in dein Leben. Er wird es verändern. Seine Liebe wird das tun, nicht du. Danke nur für diese Liebe. Beschäftige dich immer wieder mit ihr.

Es gibt ein bekanntes Lied, das die Beschäftigung mit dieser Liebe zum Gegenstand hat. Das klingt in seinen Worten vielleicht nicht mehr zeitgemäß. Aber in seinen Aussagen ist es zeitlos. Ich spreche von dem Lied Tersteegens: "Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart. Ich geb' mich hin, dem mächt'gen Triebe, mit dem ich Wurm geliebet ward. Ich will anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebe mich versenken."

Vielleicht stolpern wir über die Selbstaussage Tersteegens "Ich Wurm". Kann man so von sich reden? Ist das nicht Selbstverachtung, Selbstbeschimpfung? Nein, gemeint ist ja: Ich bin ein Sünder, der dem Anspruch Gottes nicht genügt. Ich bin einer, der nicht in den Himmel hineinpasst. Aber trotzdem bin ich geliebt, unendlich geliebt mit einer Liebe, die nicht auszuschöpfen ist, wie ein Meer. Das dürfen wir glauben und dafür danken.

Vielleicht haben wir auch schon mal davon geträumt: Einmal ein VIP zu sein, eine "very important person", also eine ganz besonders wichtige Person. Einmal besonders beachtet, besonders bevorzugt sein, einmal in der VIP-Lounge zu sitzen. Bei Gott können wir das. Wir brauchen dazu nicht besonders talentiert, besonders schön, stark reich oder mächtig sein. Ganz im Gegenteil. Bei Gott besonders wichtig, das sind nicht die, die ihr Leben selber im Griff haben. Die brauchen Jesus nicht.

Bei Gott besonders wichtig sind die, die ihn besonders brauchen: die Armen und Kranken, die Schuldigen und Gescheiterten. Die, die nicht zu stolz sind, ihre Bedürftigkeit zuzugeben. Ihnen zeigt Jesus: Ihr kriegt meine Liebe geschenkt. Eine Liebe, die nie aufhört sondern immer mehr, immer Neues für mich bereit hat, hier in diesem Leben und erst recht in der Ewigkeit.

Je mehr sich einer mit dieser Liebe beschäftigt, desto mehr verändert sie ihn auch. Wer weiß, dass ihm alle Sünden vergeben sind, der kann selber auch vergeben. Wer sich geliebt weiß, kann selber auch Liebe weitergeben. Wer sich von Gott umsorgt weiß, kann seine Sorgen fallen lassen und auch für andere sorgen. Wer weiß, dass er für Gott unendlich wichtig ist, kann seine Minderwertigkeitsgefühle überwinden und anderen Menschen Wertschätzung entgegenbringen. Wem die Freundlichkeit Gottes in den Worten der Bibel begegnet, kann selber freundlich sein. Wer entdeckt, dass Gott ihm alles schenkt, was er zum Leben braucht, der kann auch loslassen, der kann Geld verschenken oder spenden, weil er weiß: Ich komme im Leben trotzdem nicht zu kurz.

"Jesus sah ihn an und liebte ihn", das ist der Schlüsselsatz unseres Predigttextes. Es ist ein Blick, der auf Erwiderung wartet, dass auch wir Jesus gewissermaßen lieben, mit der Liebe, mit der er uns geliebt hat. Wer dies tut, der ist kein verkrampfter Christ, sondern ein befreiter, der gern das tut, was Gott von ihm will.

Amen