Bayreuth, den 5.11.17 Matthäus 10,26-33

Liebe Gemeinde!

Viele unter uns haben sicherlich den Film "Luther" von Eric Till aus dem Jahr 2003 gesehen. Eindrucksvoll ist ja folgende Szene: Unter dramatischer Musik geht Luther entschlossenen Schrittes zur Schlosskirche zu Wittenberg und heftet dort mit Nägeln die 95 Thesen an. Überlaut hört man die Hammerschläge. Die Filmbotschaft ist klar: Diese Hammerschläge haben die damalige Welt erschüttert. Nicht nur das: Diese Hammerschläge haben die Welt verändert und bis auf den heutigen Tag geprägt.

Und das deshalb, weil einer, Martin Luther, den Mut hatte, diese Thesen zu veröffentlichen. Was er als Wahrheit erkannte, behielt er nicht für sich sondern teilte sie der Öffentlichkeit mit. Er tat das, was Jesus seinen Jüngern einschärfte: "Was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern." In der Stille, durch die Beschäftigung mit der Bibel, entdeckte er neu das befreiende Evangelium: Allein durch den Glauben an Jesus wird der Mensch recht vor Gott. Bußleistungen und gute Taten können einen nicht in den Himmel bringen. Dies geschieht nur durch die unverdiente Liebe Gottes, durch seine Gnade. Diese Erkenntnis gab Luther nicht nur durch die 95 Thesen sondern auch durch unzählige Schriften und Predigten weiter. Und veränderte dadurch die Welt. Millionen von Christen weltweit nennen sich nach ihm "evangelisch-lutherisch". Alle evangelischen Kirchen gehen letztlich auf sein Wirken zurück.

Es hat oft große Auswirkungen, wenn Menschen ihre von Gott gewirkten Erkenntnisse weitergeben. Das Christentum in Europa nahm seinen Anfang durch die Verkündigung des Apostel Paulus. Durch den Einsatz von Johann Hinrich Wichern entstand die Diakonie in Deutschland. Die Predigten von Martin Luther King veränderten das gesellschaftliche Leben in den USA und das Zusammenleben von Weißen und Afroamerikanern.

Solche Beispiele sollen uns Mut machen, nicht zu schweigen, wenn es gilt, unseren Glauben zu bekennen. So ein Bekenntnis kann mehr bewirken als wir meinen, vielleicht ohne dass wir es wissen. So kam es schon vor, dass Sätze, die ich gesagt hatte, in der Seelsorge oder in der Verkündigung, anderen Menschen geholfen haben. Ich wusste es gar nicht mehr, aber die Betreffenden wussten es noch. Auch von anderen habe ich es gehört - es waren übrigens keine Pfarrer - : ein schlichtes Vaterunser am Sterbebett eines geliebten Menschen gesprochen, hat sie noch zum Glauben an Jesus und seine Gnade geführt. Wir brauchen keine Angst zu haben, uns zu unseren Glauben zu bekennen. Wir haben nichts zu verlieren, außer vielleicht die gute Meinung eines Menschen über uns. Aber wir haben viel zu gewinnen: nämlich einen Menschen für Jesus.

Das ist auch wahre Liebe: Einem Menschen das nicht verschweigen, was ihm wahres Leben geben kann. Das ist die Botschaft von Jesus Christus. Wir als evangelische Christen wollen wie Jesus und mit seiner Liebe keinen Menschen verachten und herabwürdigen. Ich möchte alle Menschen lieben, mit denen ich zu tun habe, ob sie nun schwul, lesbisch, atheistisch oder muslimisch sind. Von dieser Liebe schreibt der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief: "Die Liebe erträgt alles." So war ja auch Jesus. Er hat keinen Menschen gehasst, weil dieser anderer Meinung war als er. Er hat nicht einmal seine Mörder gehasst. Seine engsten Anhänger, die Jünger, wollten mit Gewalt gegen seine Gegner vorgehen. Aber Jesus forderte sie auf: "Lasst eure Schwerter stecken!"

Mit Gewalt, gesellschaftlichem Druck oder Psychodruck kann ich den Glauben an Jesus nicht weiter verbreiten. Auf diesem Gebiet hat die Kirche in der Vergangenheit viel falsch gemacht. Glauben kann man nicht einbläuen. Ich muss als Christ die Meinung des anderen respektieren, auch wenn ich sie nicht teile.

Diese Toleranz ist wichtig, gerade in unserer Zeit, in der wir leben. In unserem Land gibt es ja Menschen mit den unterschiedlichsten Meinungen und Einstellungen, was zum Beispiel Politik und Religion anbelangt. Und ein Zusammenleben funktioniert nur dann, wenn man sich gegenseitig toleriert.

Aber das heißt nicht, dass ich seine Meinung für richtig halte. Wir wollen an der Wahrheit festhalten, die Luther neu entdeckt hat: Allein Christus ist der Weg zu Gott. Nur durch ihn kann ich einmal in den Himmel kommen. Alle anderen Wege sind Irrwege.

Es ist in Deutschland zwar nicht wie in muslimischen Ländern gefährlich, so etwas zu sagen. Aber ich kann dafür als intolerant, hinterwäldlerisch, mittelalterlich oder fundamentalistisch verachtet, beschimpft, ja sogar gehasst werden.

Es ist eine merkwürdige Zeiterscheinung: Unsere Gesellschaft ist so tolerant gegen alles Mögliche, aber nicht gegen Christus. Wer in Deutschland es immer noch wagt, zu behaupten: Jesus ist der einzige Weg zu Gott, der kann etwas erleben. Der ist ein Fundamentalist.

Ein Fundamentalist ist im heutigen Sprachgebrauch ein Mensch, der intolerant ist, mit dem man nicht reden kann, der alles besser weiß, der im Grunde seines Herzens tief unsicher ist, nur mit Scheuklappen in der Welt herumläuft und auch sonst ein unangenehmer Zeitgenosse ist.

War Pythagoras ein Fundamentalist? Pythagoras lebte vor 2500 Jahren auf der griechischen Insel Samos. Weltberühmt wurde er durch seinen Lehrsatz: In einem rechtwinkligem Dreieck ist das Quadrat der Hypotenuse gleich dem Quadrat der Katheten. Ganz schön konservativ, wer diesen Satz immer noch glaubt. Denn er ist ja immerhin schon 2500 Jahre alt. Und fast fundamentalistisch: Denn er behauptet, nur er hat recht! Aber er bleibt trotzdem wahr. Und auch was Jesus gesagt hat, bleibt wahr, auch wenn es 2000 Jahre alt ist. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben - durch alle Zeiten hindurch, für jeden Menschen. Und deshalb wollen wir als evangelische Christen immer wieder von Jesus reden, auch wenn wir Anstoß erregen, auch und gerade unter Theologen.

Unter einer meiner Examensarbeiten schrieb ein korrigierender Theologieprofessor als Kritikpunkt: Christomonismus. Für die Nichttheologen unter uns heißt das übersetzt: Er hat ausschließlich von Jesus gesprochen.

Im Unterricht sagte ein Schüler zu mir: „Bei Ihnen läuft alles immer wieder auf das Gleiche hinaus. Immer reden Sie von Gott und Jesus!“ Dahinter steckte unausgesprochen die Meinung dahinter: Ganz schön beschränkt der Knabe! Dem fällt nichts anderes ein, als immer wieder mit diesem Jesus anzufangen. Ich nehme es als Kompliment, auch wenn ich dieses Kompliment nicht verdient habe, weil auch ich von Jesus geschwiegen habe, wo ich von ihm hätte reden sollen.

Wir wollen als evangelische Christen auch von der Freiheit eines Christenmenschen reden, so wie Luther es auch getan hat. Er ließ sich den Mund nicht verbieten. Sondern er war so frei seine Meinung zu sagen, auch wenn sie von der des Papstes oder kirchlichen Konzilien abwich.

Allerdings meinte er die biblische Freiheit, die Freiheit von der Sünde und nicht eine absolute Freiheit, bei der jeder tun und lassen kann, was er will. So eine Freiheit tut dem Menschen nicht gut, auch wenn sie es leugnen.

Viele denken zwar, sie sind frei, und merken gar nicht, wie abhängig sie sind - von der Meinung anderer, von dem , was gerade "in" ist, vom Diktat der Mode, von einem bestimmten Menschen, vom Geld, vom Job, oder von Alkohol und Drogen.

Viele denken, sie sind frei und merken gar nicht, wie getrieben sie sind: vom Neid, vom Hass, vom Zorn, von der Gier, von der Angst. Viele denken, sie sind frei, und merken gar nicht, wie belastet sie sind: von Schuld und von inneren Verletzungen

Weitaus weniger, meine ich, merken, wie abhängig sie sind, wie getrieben, wie belastet. Sie wollen gerne anders sein - und schaffen es nicht.

Aber jeder Mensch hat die Chance frei zu werden: frei von Sucht und Schwermut, frei von Angst, Hass und Bitterkeit, frei von der Macht des Bösen. Wir sind frei durch das, was Jesus am Kreuz tat. Dort auf diesem Hügel namens Golgatha hat Jesus auch dich frei gemacht von dem Bösen in deinem Leben. Er hat gewissermaßen deine Ketten zerbrochen. Es liegt an uns, an dir ganz persönlich, ob du diese Botschaft glaubst. Allein der Glaube an Jesus, an das, was er am Kreuz für dich getan hat, macht dich frei.

Ich weiß: Es ist nicht mehr zeitgemäß, von der Sünde zu reden. Das ist auch so ein ausrangierter Begriff.

Was früher als Tugend galt, ist heute lächerlich. Alle möglichen Laster und Perversitäten sind gesellschaftsfähig geworden. Wer die Gebote bricht, der wird gerühmt, wer sich noch daran hält, wird ausgelacht.

In unserer Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren eine atemberaubende Veränderung der Sexualmoral vollzogen. Was gestern als unnormal galt heute normal geworden. Und der Staat zieht mit seiner Gesetzgebung nach. Man denke nur an das, was im Bundestag vor einigen Monaten beschlossen wurde: die Anerkennung der Ehe für alle. Und was am beschämendsten ist: kirchliche Stellungnahmen der evangelischen Kirche legitimieren mit pseudotheologischen Argumenten diese Entwicklungen.

Doch Kirche ist nie gut beraten, wenn sie sich an den Zeitgeist orientiert hat, ob er nun braun daherkam wie zur Zeit des Nationalsozialismus oder rot oder grün wie in der heutigen Zeit. Es wäre übrigens auch nicht gut, wenn er nun schwarz daherkommen würde oder gelb oder gar blau.

Zurecht mahnte der "Arbeitskreis bekennender Christen" in seiner Erklärung unter der Überschrift zum Christustag von 2014: „Je weniger die evangelische Kirche es wagt, der Heiligen Schrift zu vertrauen und mit der Heiligen Schrift zu argumentieren, je mehr die Kirche meint, dem Zeitgeist hinterhereilen zu müssen, desto undeutlicher und belangloser werden ihre Stellungnahmen, desto weniger hört die Gemeinde Jesu Christi in den Äußerungen der Kirche die Stimme ihres Herrn.“

Alles ist unserer Zeit relativ geworden. Der Glaube an Gott? Schön und gut für den, der damit etwas anfangen kann. Dem mag so ein Glaube noch Halt und Geborgenheit bringen. Aber es geht auch ohne Gott oder mit einem ganz anderen Gottesglauben als dem christlichen.

Ehe und Familie? Ganz nett. Aber man kann auch anders leben. Wechselnde Beziehungen? Nichts dagegen einzuwenden. Öfter mal was Neues. Was soll schon dagegen sprechen?

Nicht lügen, aufrichtig und ehrlich sein? So lange es mir was bringt, mag so ein Verhalten ja okay sein. Aber der Ehrliche ist doch sowieso der Dumme. Ab und zu muss man doch einfach lügen, sonst kommt man zu nichts.

Die zehn Gebote gelten in unserer Zeit schon lange nicht mehr. Alles ist erlaubt, man darf sich nur nicht erwischen lassen.

Und die Folgen eines solchen Verhaltens? Es ist das Chaos, das Chaos - im gesellschaftlichen wie im persönlichen Leben. Es geht alles drunter und drüber, weil eine ordnende Kraft fehlt. Wir ernten kaputte Ehen, Kinder aus gestörten Verhältnissen, ein kälteres gesellschaftliches Klima, mehr Verbrechen, um nur einiges zu nennen.

Damit man mich nicht falsch versteht: Wir wollen nicht so tun, als ob wir über solche gesellschaftlichen Entwicklungen darüber stehen. Wir sind alle Kinder unserer Zeit, kommen auch mit dem Zeitgeist immer wieder in Berührung und müssen das auch. Aber wir müssen aufpassen, dass er nicht an uns kleben bleibt.

Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder fragen: Welcher Geist bewegt und beherrscht uns: Ist es der Zeitgeist oder der Geist Gottes? Wir müssen uns immer wieder anhand des Wortes Gottes prüfen, welche Geister uns beeinflussen oder gar gefangen nehmen.

Gerade in der heutigen Zeit schwirren so viele Geister um uns herum, die uns ganz und gar vereinnahmen wollen, oft so, dass wir es gar nicht merken. Und darüber vergeht unser Leben, und wir verpassen auch das Leben! Es kann sehr schnell passieren, dass wir als "Angepasste" weggeschwemmt werden vom "Strom der Zeit". Wer immer mit dem Strom schwimmt, muss aufpassen, dass er nicht als wertloses "Strandgut" an den Ufern der Ewigkeit angeschwemmt wird.

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns regelmäßig unter dem Wort Gottes in den Gottesdiensten und auch in unseren Gruppen treffen. Dort kann ein Gegengewicht für unser Leben gesetzt werden. Dort können wir wieder neu ausgerichtet werden. Dort kann uns neuer Mut zum Nein - Sagen geschenkt werden.

Eigentlich es doch klar: Wem wir uns aussetzen, das prägt uns auch. Wenn wir immer wieder Gottes Wort hören, es in unser Leben umsetzen und auch um den Geist Gottes bitten, dann wird uns das auch prägen und verändern. Und wir werden frei. Frei von all dem, was uns gefangen nehmen will. "Denn wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit!" Darum ging es Luther wie allen, die wie er die Botschaft des Evangeliums weitersagen, darum geht es auch mir: Dass wir nicht unfrohe, verklemmte Christen werden, sondern Menschen, die froh geworden sind und befreit aufatmen können, weil sie sich trotz ihrer Sünde geliebt wissen, unbedingt geliebt wissen von Jesus, der vergibt und auch verändert und neu macht. Wir wollen und freuen, dass diese Botschaft immer noch verkündigt wird. Und wir wollen dankbar sein, dass auch wir sie hören durften, letztlich weil ein Mann, Martin Luther, vor 500 Jahren den Mut hatte, das Evangelium von der bedingungslosen Gnade Gottes weiterzusagen.

Amen