Bayreuth, den 11.3.18 Psalm 32

1 Ein Lied Davids, zum Nachdenken. Glücklich sind alle, denen Gott ihre Sünden vergeben und ihre Schuld zugedeckt hat! 2 Glücklich ist der Mensch, dem Gott seine Sünden nicht anrechnet, und der mit Gott kein falsches Spiel treibt! 3 Erst wollte ich dir, Herr, meine Schuld verheimlichen. Doch davon wurde ich so schwach und elend, dass ich nur noch stöhnen konnte. 4 Tag und Nacht bedrückte mich dein Zorn, meine Lebenskraft vertrocknete wie Wasser in der Sommerhitze. 5 Da endlich gestand ich dir meine Sünde; mein Unrecht wollte ich nicht länger verschweigen. Ich sagte: "Ich will dem Herrn meine Vergehen bekennen!" Und wirklich: Du hast mir meine ganze Schuld vergeben!

Liebe Gemeinde! 

Glücklich, auch wenn du versagst. Wie soll das gehen? Wenn einer durch eine wichtige Prüfung gefallen ist, ist er dann glücklich? Sicherlich nicht. Wenn einer beruflich versagt hat, ist er dann glücklich? Sicherlich auch nicht. Und wenn einer gemerkt hat, dass er an Menschen schuldig geworden ist, vielleicht jahre- oder jahrzehntelang, ist er dann glücklich? Gewiss erst recht nicht. Und doch kann jemand, der versagt hat, glücklich sein oder genauer gesagt, glücklich werden, vielleicht sogar glücklicher als einer, der ein Erfolgsmensch ist und ein anständiges Leben geführt hat.

Um dieses Glück zu finden, ist es nötig, einen Weg zu beschreiten. Ich sage es gleich zu Beginn: Das ist nicht immer ein einfacher Weg sondern einer, der mit schmerzlichen Erkenntnissen verbunden ist. Es ist der Schmerz, der durch das ehrliche Eingeständnis kommt, wenn einer zu seinem Versagen steht. Doch wer so ehrlich geworden ist, der kann auch eine andere Wahrheit begreifen, eine wunderbare, befreiende, eben glücklich machende Wahrheit: Gerade in meinem Versagen bin ich von Gott geliebt, unendlich geliebt.

Versagen ist nicht immer, aber häufig, mit Schuld verbunden. Schuld zuzugeben fällt uns normalerweise schwer. Niemand sagt ja freudestrahlend: "Halleluja, ich bin ein Sünder!" Wir wollen Schuld am liebsten verstecken, verschweigen. Sie sollen ein Geheimnis bleiben.

Der amerikanische Psychiater Irvin Yalom berichtet von seinen Therapiegruppen: Am Anfang bittet er alle Teilnehmer auf einen Zettel ohne Namen ihre drei größten Geheimnisse aufzuschreiben. Und zwar Geheimnisse, die sie niemandem in der Gruppe mitteilen möchten. Dabei entdeckte er: Die Geheimnisse waren erstaunlich ähnlich. Am häufigsten genannt war die "tiefe Überzeugung, von Grund auf unzulänglich zu sein", das Eingeständnis,, "dass man sich nur durch einen Bluff durchs Leben mogelt". An zweiter Stelle wurde genannt, dass man keine wirkliche Liebe für einen Menschen empfindet oder empfinden kann, auch wenn es nach außen hin anders aussieht. An dritter Stelle kamen irgendwelche sexuellen Geheimnisse. Yalom meint nun: Die in diesen Geheimnissen ausgedrückten Sorgen und Ängste haben mehr oder weniger deutlich alle Menschen. Also auch Sie und ich. Hat er recht? Ich meine schon.

Denken wir an David, der diesen Psalm geschrieben hat, den ich eben vorgelesen habe. Er war König von Israel. Er stand auf dem Höhepunkt seiner Macht. David war ein starker, erfolgreicher und vor allen Dingen von Gott gesegneter und frommer Herrscher. So sah es zumindest nach außen hin aus. Aber die Wahrheit war anders. Ein dunkles Geheimnis belastete ihn. Niemand wusste es. Mit der schönen Frau eines seiner Offiziere hatte er ein Verhältnis. Sie wurde schwanger, von David. Was tun? Die Wahrheit durfte nicht ans Tageslicht. Der König versuchte Uria, so hieß der Mann, das Kind unterzuschieben. Doch dieser Plan klappte nicht. Da schickte David seinen Offizier zurück zu seinem Heer und befahl ihn an einen Posten zu stellen, an dem er garantiert, sozusagen todsicher, von den Feinden umgebracht werden würde. Und so kam es auch. Uria fiel im Kampf. Und David heiratete nun dessen Witwe. Ein Kind wird geboren, nun gut, etwas zu früh. Was soll's? Hauptsache der Schein blieb gewahrt und das Bild von dem frommen, ehrbaren König unversehrt.

Aber im Inneren von David sah alles ganz anders aus. Sein Gewissen plagte ihn, so schreibt er im Psalm 32. Dazu kamen gesundheitliche Schwierigkeiten, die nicht näher geschildert werden. Wir wissen ja: Wenn die Seele leidet, leidet der Körper oft mit.

Schuld belastet und vergiftet ein Leben, die Seele wie auch den Körper. Das sind all die unguten Gedanken, die bösen Worte, die negativen Gefühle wie Angst, Sorge, Neid, ja Hass, und alle Taten, womit ein Mensch an Gott und seinem Mitmenschen schuldig geworden ist. Kennst du das auch? Ich schon. Bei all dem Genannten handelt es sich um Giftstoffe, die dein Leben kaputtmachen, die dir den ewigen Tod, die ewige Trennung von Gott einbringen, - solange du es nicht aussprichst, vor Gott im Gebet oder am besten einmal vor einem Christen, der von Gott den Auftrag erhalten hat, die Vergebung zuzusprechen.

David verschwieg seine Schuld, bis es nicht mehr anders ging. Der Prophet Natan sagte ihm seine Schuld auf den Kopf zu. Da gab er seine Sünde zu und bat Gott um Vergebung. Und er bekam sie auch.

Vergebung ist möglich. Gott ist zwar gerecht. Schuld muss bezahlt werden. Im Alten Testament, zur Zeit des Königs David, geschah dies meist durch ein Tieropfer, das Gott dargebracht wurde. Doch diese Opfer sind nur ein Hinweis auf das, was im Neuen Testament geschah. Jesus starb am Kreuz. Durch diesen Tod bezahlte er selber als Sohn Gottes die Schuld der ganzen Menschheit.

Dieses Geschehen verdeutlicht eine eindrucksvolle Geschichte: In den USA ist es üblich, dass Ärzte oder Krankenhäuser die Schulden ihrer Patienten weiter "verkaufen", wenn die nicht zahlen können. Die Schulden werden oft von bestimmten Firmen, sog. Inkasso-Firmen aufgekauft. Und die treiben sie meist gnadenlos ein, jeden Cent. Im Juni 2016 wurde dieses Problem öffentlich: Der Fernsehmoderator und Komiker John Oliver kaufte für 60.000 Dollar die Schulden von 9000 Patienten ein. Er sagte: "Ich hätte legal meine Mitarbeiter bei diesen Menschen anrufen und ihr Leben auf den Kopf stellen lassen können." Aber er ließ die Schulden nicht eintreiben, wie das üblich war, sondern erließ den Menschen ihre Schuld.

So ähnlich handelt Gott mit uns Menschen: Statt uns wegen unserer Schuld anzuklagen, uns zu verurteilen, nimmt er die Last unseres Lebens und unserer Welt auf sich, damit wir in Freiheit leben. So sehr liebt Gott jeden Menschen!

Gott vergibt. Er hat alles dafür getan, damit dies geschieht. Was wir tun müssen, ist nur, ehrlich zu werden, Schuld zuzugeben, sie auszusprechen.

Gott gegenüber ehrlich sein. Das heißt: Nicht die Schuld auf andere schieben. Nicht sagen: Eigentlich war es nicht ich sondern die anderen waren dran schuld. Und eigentlich war es nicht so schlimm, was ich getan habe. Nur wer ehrlich vor Gott seine Schuld bekennt, der wird Vergebung bekommen, nur wer das ehrlich sagt, was wir jeden Sonntag im Gottesdienst sprechen: "Gott sei mir Sünder gnädig." Verschwiegene Schuld belastet einen Menschen, drückt ihn nieder, kann ihn sogar krank machen. Aber wer Schuld ausspricht, der wird froh und frei, weil ihm all das abgenommen ist, was sein Leben belastet.

Schuld zuzugeben, - sollte das so schwer fallen? Wir dürfen sie ja einem Gott bekennen, der uns unendlich liebt, der nur darauf wartet, dass wir diesen Schritt tun, damit uns vergeben werden kann.

Ein Pfarrer predigte einmal in einer Jugendstrafanstalt Er fragte die jugendlichen ,,Knackis": ,,Stellt euch vor: ihr habt 10 Automaten geknackt, aber nur einen Bruch kann man euch nachweisen. Würdet ihr die anderen 9 Brüche in der Gerichtsverhandlung auch zugeben?" Alle grinsten und schüttelten den Kopf: ,,So blöd sind wir nicht", sagten sie, ,,da wird ja die Strafe höher". ,,Verstehe ich", sagte der Pfarrer, ,,Aber nun stellt euch mal vor: die Gerichtsverhandlung beginnt - 1. Verhandlungstag, noch kein Zeuge ist vernommen, der Richter erhebt sich zu Sitzungsbeginn und sagt zur Überraschung aller: ,,Im Namen des Volkes! Angeklagter, Sie sind freigesprochen!" Da stand ein jugendlicher Strafgefangener auf und rief ganz laut in den Raum: ,,Dann könnte ich endlich mal alles sagen!"

Dem Gott, der Vergebung anbietet, Vergebung aller Sünden, auch der allerschlimmsten, dem kann man doch auch alles sagen.

Ich kann es nur von mir so sagen: Das größte und überwältigendste Erlebnis war für mich, als ich das erste mal die Vergebung meiner Sünden erfahren habe. Da war ich etwa so alt wie ihr Konfirmanden. Und ich weiß es von anderen, die bei mir als Pfarrer ihre Sünden bekannt haben, dass ihnen auf einmal leicht ums Herz wurde, dass ihre Gesichter strahlten und sie sich freuen konnten.

Ihr kennt ja die Geschichte vom Verlorenen Sohn. Der kam zum Vater zurück und bekannte ihm seine Schuld. Der Vater vergab ihm und nahm ihn wieder als seinen Sohn an. Und dann feierten sie ein Fest, das Fest der Vergebung. Da gab es was Gutes zu essen und zu trinken. Und dann heißt es dieser Geschichte: Sie fingen an, fröhlich zu sein. Wo Vergebung geschieht, da wird ein Mensch froh und glücklich. Und Gott freut sich auch mit.

Es hat einmal jemand so ausgedrückt: Schneller als ein Blatt Papier in einem Flammenmeer verbrennt, verbrennt die Sünde im Flammenmeer der Liebe Gottes. Denkt daran, was wir letzte Woche auf der Konfirmandenfreizeit getan haben: Ihr habt einen Brief an Gott geschrieben, auf dem eure Sünden standen. Als Zeichen der Vergebung haben wir diese Zettel verbrannt. Vielleicht habt ihr da begriffen oder geahnt, was für ein Wunder die Vergebung ist. Und dieses Wunder der Vergebung geschieht immer wieder, wenn ein ehrlicher Mensch Gott seine Sünden bekennt.

Vergebung heißt: Ich darf leben, als hätte ich nie gesündigt. Ich darf mit der Gewissheit leben: Ich bin von Gott geliebt, so wie ich bin. So kann Gott unsere Sünde dazu gebrauchen, um ihm näher zu kommen, um seine Liebe auf eine tiefe, beglückende Weise zu erfahren wie sonst nicht.

Dietrich Bonhoeffer schrieb einmal: „Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.“

Sogar unsere Sünden und Fehler, die wir begehen, können uns einen hervorragenden Dienst tun: Sie können uns demütigen. Einen stolzen Heiligen kann Gott nicht in sein Himmelreich bringen, sondern nur einen armen Sünder, der weiß, dass er Vergebung und Gnade nötig hat.

Was natürlich nicht heißt, dass wir möglichst viele Fehler machen sollen, damit Gott uns segnen kann. Nein, das sicher nicht. Aber wir brauchen keine Angst zu haben, dass Gott uns nicht mehr gebrauchen könne, wenn wir Sünden begehen. Wir dürfen vertrauen, dass Gott sogar aus unseren eigenen bösen Taten Gutes hervorbringen kann. Deshalb konnte der Kirchenvater Augustin von der „felix culpa“, der „glücklichen Schuld“ sprechen. Auch unsere Schuld benutzt Gott dazu, um uns letztlich wahres Glück zu bringen.

Wahres Glück, was ist das? Wenn eben unser Leben diese Liebe Gottes widerspiegeln kann, in unseren Worten und in unseren Taten. Dazu sind wir ja auf dieser Welt, damit dieser Prozess bei uns in Gang kommt und sich vollzieht.

Diese Veränderung will Gott in uns bewirken. Und manchmal benutzt er dazu auch Dinge, die uns nicht gefallen, Schmerzen, Krankheit, Einsamkeit, unliebsame Menschen, das Fallen in Sünde und Schuld. All das soll bewirken, dass wir umso mehr Jesus vertrauen, ihm immer näher kommen und seine Liebe kennenlernen. Denn nur so werden wir anders: Wenn wir zwar auf der einen Seite uns selber erkennen, wie wir sind, Menschen, deren Leben sich letztlich um sich selber dreht, aber auf der anderen Seite die unbegreifliche Liebe Jesu verstehen und in unser Leben aufnehmen.

Vielleicht erscheint uns die Veränderung unmöglich. Das mag menschlich gesehen richtig sein. Aber bei Gott ist nichts unmöglich. Niemand muss denken: "Ich bin ein hoffnungsloser Fall! Ich werde nie ein anderer Mensch. Diese oder jene Sünde werde ich bis an mein Lebensende immer wieder tun!“

Es gibt für ihn keine hoffnungslosen Fälle. Sogar einen Mörder kann er vergeben und ihn verändern. Ich denke an den Film "Dead man walking". Er beruht auf zwei authentische Begebenheiten, die die Ordensschwester Helen Prejean in einem Buch beschrieben hat. Schwester Helen besucht einen zum Tode verurteilten Mann. Er sitzt im Todestrakt in einem Gefängnis in den USA ein, weil er zwei Teenager ermordet hatte. Dieser Mann, Matthew Poncelet, hat keinen liebenswerten Charakter. So ist er ein Rassist, verachtet Frauen und redete davon, dass die Nazis Wertvolles geleistet hätten. Er ist ein Ekelpaket.

Trotzdem lädt Schwester Helen ihn wiederholt ein, mit Gott ins Reine zu kommen, indem er seine Sünden bekennt. Sie versucht, ihn dazu bewegen. Verantwortung für das zu übernehmen, was er getan hat. Es gibt nur sehr, sehr langsam Fortschritte.

Aber Schwester Helen gibt nicht auf. Schließlich, um 23.38 Uhr, wenige Minuten vor seiner Hinrichtung um Mitternacht, fragt sie ihn: "Übernehmen Sie die Verantwortung für den Tod der beiden?" Weinend gesteht er zum ersten Mal seine Schuld ein. Einige Minuten später sagt er: "Danke, dass Sie mich geliebt haben. Es gab noch nie jemanden in meinem Leben, der mich wirklich geliebt hat."

Vor der Hinrichtung sagt sie ihm, er solle ihr Gesicht anschauen. "Auf diese Weise wird das Letzte, was Sie sehen, das Gesicht von jemanden sein, der Sie liebt." Er tut es und stirbt in Liebe statt in Verbitterung.

So wie dieser Verbrecher dürfen wir es jetzt schon tun, nicht erst wenn unsere letzte Stunde schlägt. Wir dürfen auch auf jemanden sehen, der uns liebt, unendlich liebt, und wenn wir noch so sehr versagt haben. Das ist Jesus Christus. Diese Liebe macht uns letzten Endes glücklich. Diese Liebe verändert unser Leben so, bis das von uns abfällt, was nicht zu dieser Liebe passt.

Amen