Bayreuth, den 6.5.18 Kolosser 4,2-4

Liebe Gemeinde! 

Es war zu der Zeit der Rassentrennung in den USA. Ein Afroamerikaner wollte eine Kirche betreten, die nur Weißen vorbehalten war. Ein Polizist hält ihn auf: "Da darfst du nicht rein!" Der Afroamerikaner erwidert: "Ich muss hier die Kirche putzen." Der Ordnungshüter lässt ihn laufen. "Aber", droht der Polizist, "lass dich nicht beim Beten erwischen!"

Unser heutiger Predigttext stammt ja von Paulus. Er würde nicht sagen: "Lass dich bloß nicht beim Beten erwischen!" Wir hören hier von ihm genau die gegenteilige Aufforderung: "Lass dich nicht ohne Gebet erwischen!" Das Gebet ist unverzichtbar. Das gilt für unseren Alltag. Aber nicht nur. Das gilt auch für alles Reden vom Glauben an Jesus.

Jemand sagte zu einem Pfarrer: "Ich bete nur noch, wenn ich Lust dazu habe." Seine Gegenfrage: "Hast du Lust zum Atmen?" Die erstaunte Antwort: "Das ist doch keine Frage der Lust, sondern des Überlebens." Daraufhin folgerte der Pfarrer: "Auch Beten ist nicht eine Frage, ob ich Lust habe, sondern ob ich leben will, geistlich leben will." Es hat einmal jemand gesagt: "Beten ist das Atemholen der Seele." Es ist also das Normalste von der Welt. Denn ohne Atemholen ersticke ich.

Aber wer von uns kann sagen: Bei mir ist das Gebet der Normalfall? Bei mir ist es das Selbstverständlichste von der Welt wie Essen, Trinken, Atmen, sich waschen, sich anziehen? Vermutlich ist es eher so: Wir beten bei besonderen Gelegenheiten, im Gottesdienst, bei den Mahlzeiten, in Zeiten schwerer Not und vielleicht noch jeden Morgen während unserer Stillen Zeit. Oftmals müssen wir uns erst aufraffen, um ein Gebet zu sprechen. Das gelegentliche Gebet ist die Regel.

Aber das Gebet ist nicht etwas, was man tun oder lassen kann. Nein, Gebet ist lebensnotwendig. Es ist geradezu das Zeichen dafür, wie lebendig unser Christsein ist.

Deshalb konnte auch ein Luther schreiben: "Wo ein Christ ist, da ist eigentlich der heilige Geist, der nichts anderes tut als immer betet, denn ob er gleich nicht immerdar den Munde reget oder Worte macht, dennoch geht und schlägt das Herz gleichwie die Pulsadern und das Herz im Leibe ohne Unterlass mit solchen Seufzern: Ach, lieber Vater, dass doch dein Name geheiligt werde, dein Reich komme, dein Wille geschehe bei uns und jedermann usw. Und wenn danach Stöße oder Anfechtung und Not härter drücken und treiben, dann geht solch Seufzen und Bitten desto stärker, auch mündlich, so dass man keinen Christen finden kann ohne Beten, so wenig als einen lebendigen Menschen ohne den Puls, welcher nie still steht. Er reget und schlägt immerdar für sich, obgleich der Mensch schläft oder anderes tut, dass er sein nicht gewahr wird."

Gebet ist lebensnotwendig. Deswegen ruft der Apostel Paulus der Gemeinde in Kolossä und auch uns heute früh zu: Haltet an am Gebet! Mit dem Gebet steht und fällt unser Christsein. Denn am Gebet erkennen wir unser Verhältnis zu Gott. Es zeigt sich, ob wir Gott kindlich vertrauen, so wie ein Kind den Eltern oder nicht.

Für ein Kind ist es ja selbstverständlich, dass es immer wieder mit den Eltern redet, dass es sie immer über alles Bescheid wissen lässt. Jeder, der Kinder hat, weiß das. Wenn sie sich stoßen, kommen sie sofort zu der Mutter, um ihr von dem Kummer zu erzählen und sich von ihr trösten zu lassen. Wenn das Kind etwas sieht, was ihm auffällt, dann wird das den Eltern auch erzählt. Oder wenn ihm etwas gelungen ist, etwa ein Bild zu malen, dann kommt es damit zu den Eltern, um sein Werk von ihnen bewundern zu lassen. An allem sollen Vater und Mutter Anteil haben. Das Kind lebt in vollkommener Abhängigkeit von den Eltern, es braucht sie. Es fühlt sich nur in ihrer Liebe und Zuneigung geborgen.

Genauso sollte unser Verhältnis zu Gott sein. Nur dann sind wir letzten Endes glücklich und geborgen. Denn wer Gott wie ein Kind seinen Eltern vertraut und ihm alles erzählt, der ist im tiefsten Grunde nicht allein. Er kennt und wendet sich ja an den, der ihn am besten verstehen und ihm helfen kann.

Das Gebet ist wichtig. Es ist nicht gut für uns, wenn wir es vernachlässigen. "Haltet an am Gebet", schreibt der Apostel.

Es geht also um Ausdauer. Wer eine Fertigkeit erwerben will, kommt in der Regel an einem Training nicht vorbei. Das ist beim Klavierspielen so. Niemand fliegt es so einfach zu. Um es zu lernen, muss man immer wieder üben, möglichst täglich. Oder das ist beim Ausdauertrainung so. Wer eine gewisse Fitness erwerben will, muss dafür etwas tun, etwa regelmäßig joggen, Fahrrad fahren oder schwimmen. Das macht nicht immer Spaß. Aber es geht nicht anders.

Beim Beten ist es ähnlich. Paulus mahnt hier: Gebt nicht auf beim Beten. Macht es regelmäßig, zu eurer Gewohnheit. Lasst euch durch nichts davon abbringen, auch ihr meint: Was mache ich da eigentlich? Hat das einen Sinn?

Jeder, der betet, kennt ja die Erfahrung: Man ruft, aber man bekommt keine Antwort. Es kommt keine Hilfe, kein Trost. Alles bleibt beim Alten, nichts ändert sich. Die Gebete scheinen an der Zimmerdecke hängen zu bleiben, sie prallen gegen eine Mauer. Man ruft anscheinend ins Leere. Dann schleicht sich der Gedanke ein: Das Beten hat doch keinen Sinn. Gott hört ja doch nicht.

Aber: Gott hört zu, wenn du betest.

Aber: Wir müssen schon mit ganzem Herzen dabei sein und wissen, mit welchem Gegenüber wir reden!

Ich denke da an so einen Menschen wie den Waisenvater Georg Müller. Er war ein Mann mit einem kindlichen Glauben. In seinem Leben hat er Zig-Millionen Euro für seine Waisen nicht zusammengebettelt sondern zusammengebetet. Bei "Wikipedia" fand ich über Georg Müller: „'Herr Müller', schrieb die Bristol Evening News, 'war eine einmalige Erscheinung unter den Menschenfreunden des 19. Jahrhunderts. In einem Zeitalter des Unglaubens und des Materialismus probierte er Theorien praktisch aus, die viele Menschen nur für weltfremdes Theologengezänk halten.'“

Einmal fuhr Georg Müller auf einem Schiff. Der Kapitän erzählt von der Begegnung mit Müller: "Da bin ich von einem Namenschristen zu einem Glaubenschristen geworden!" Sie fuhren durch dicken Nebel bei Neufundland. Der Kapitän stand 22 Stunden am Steuer. Er konnte sich nur ganz langsam mit dem Schiff vorantasten. Radar gab es damals noch nicht. Auf einmal steht Georg Müller hinter ihm und sagt: "Wissen Sie, dass ich am Samstagnachmittag in Quebeck sein muss. Ich muss dort sprechen!" Der Kapitän sagt: "Das ist unmöglich!" Müller: "Wenn Sie nicht helfen können, dann muss ich mich an den lieben Gott wenden. Kommen Sie einen Augenblick mit in meine Kabine!" Dort hat Müller ein schlichtes Gebet gesprochen wie ein Kind im Kindergottesdienst: "Lieber Vater im Himmel,, du weißt, dass ich da reden soll, es ist doch dein Wille, dass ich da reden soll. Ich danke dir, dass der Nebel weicht!" Der Kapitän wollte auch aus Anstand etwas beten. Doch Müller sagt zu ihm: "Sie brauchen nicht zu beten, denn erstens glauben Sie nicht und zweitens gehen Sie hinauf, der Nebel ist weg!" Sie gingen hinauf, es war sternklare Nacht. Da sagt Georg Müller: "Sehen Sie, in den 57 Jahren, seit ich zum Glauben gekommen bin, habe ich es nie anders erlebt, wenn ich bei Gott um Audienz bat, dass er mich erhört hat!" Georg Müller hat kindlich geglaubt und die Wirklichkeit Gottes erfahren. So dürfen wir es doch machen!

Vielleicht nicht sofort, aber zuletzt geschehen die Wunder und das Eingreifen Gottes – aber sie wollen erglaubt und erbeten sein. Wie es in dem bekannten Liedvers von Paul Gerhard heißt: „Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein lässt Gott sich gar nichts nehmen, es muss erbeten sein.“

Nicht zu früh aufgeben! Gott hat versprochen: Wer bittet, der empfängt. Gott gibt keine leeren Versprechungen. Sondern wir dürfen ihn immer wieder daran erinnern, sollen ihm gewissermaßen in den Ohren liegen.

Wir mögen zunächst die Erfahrung machen, dass Gott nicht hilft. Aber trotzdem darf man ihn weiter um Hilfe bitten. Ich brauche mir bei Gott kein Blatt vor den Mund zu nehmen. So wie auch Kinder dies nicht tun, wenn sie unbedingt etwas von ihren Eltern wollen.

Und wenn Gott trotz anhaltenden Gebetes unsere Bitten nicht erfüllt? Dann dürfen wir getrost darauf vertrauen, dass Gott besser weiß als wir, was für uns gut oder schlecht ist.

Eine andere Schwierigkeit sehen wir in der Zeit, die das Gebet in Anspruch nimmt. Wir haben oft keine Zeit zum Beten, weil wir andere Dinge für vordringlicher halten.

Wie töricht diese Haltung eigentlich ist, kann man an einem kleinen Beispiel verdeutlichen. Stellen wir uns einen Mann vor, der Holz sägt. Seine Säge aber ist stumpf. Er kommt mit der Arbeit nicht so recht voran. Man fragt ihn, warum er denn die Säge nicht schärfe. Der Mann antwortet: "Dazu habe ich keine Zeit. Ich muss mit dem Sägen vorankommen." Wir lächeln über diesen Mann? Doch ist es mit dem Beten nicht genauso? Wir vergeuden nicht sondern wir gewinnen eher Zeit, wenn wir uns Zeit für das Gebet nehmen. Viele Dinge gehen uns schneller von der Hand, anderes können wir gar getrost nicht tun, weil wir es als überflüssig erkennen. Mit einem Wort: Wenn wir das Gebet nicht vernachlässigen, dann liegt auf unserer Arbeit der Segen Gottes. Deshalb konnte Luther auch sagen: "Ich habe heute viel zu tun, deshalb muss ich auch viel beten." Ich kann auch ohne Gebet sicher viel tun und leisten, aber ich laufe Gefahr, am Willen Gottes vorbeizuplanen. Und vorbeizuhandeln, das heißt ohne den Segen Gottes zu wirken.

Zweitens sagt hier Paulus: Bei den wahren Betern ist immer Danksagung mit dabei!

Sie beten nicht gedankenlos und dank-los vor sich hin. Sondern immer wieder danken sie für frühere Rettungen und Hilfen.

Denken wir doch mal darüber nach: Wofür haben wir nicht alles zu danken: dass wir noch leben, gesund sind, alle Sinne und Glieder beieinander haben, dass wir ewiges Leben durch das Wort Gottes bekamen, immer wieder neu von der Gnade und Vergebung leben dürfen und noch Vieles mehr. Wir können danken für viele Rettungen und Bewahrungen, wo etwas, was gar nicht so gut aussah, doch noch gut ausgegangen ist. „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet.“

Und der uns so oft schon geholfen hat, so vieles schon geschenkt hat, der hat doch noch mehr Gutes für uns im Sinn! Auch wenn es zunächst anders aussieht.

Neben Gebet und Danksagung nennt Paulus noch die Fürbitte als dritte Form des Gebetes. Damit gewinnt es gewissermaßen weltweite Dimensionen. So kühn es auch klingt: Mit der Fürbitte nehmen wir an Gottes Weltregierung teil. "Der archimedische Punkt, der die Welt aus den Angeln heben kann", so sagte einmal jemand, "ist eine Betkammer, wo der wahre Beter in aller Aufrichtigkeit betet -, ja er soll die Erde bewegen. Ja, es ist unglaublich, was ein solcher Beter, wenn er seine Tür schließt, drinnen alles vermag."

Durch das Gebet, so drückt es Luther aus, ändern wir alles, ordnen wir alles, regieren wir alles. Wir brauchen nicht ohnmächtig dem Treiben in der Weltgeschichte zuzuschauen. Nein, wir können eingreifen, durch das Gebet.

Was uns unmöglich erscheint, den Betern kann es gelingen. Die Schalthebel der Macht liegen nicht in der Hand eines unabänderlichen Schicksals oder bei den Mächtigen dieser Erde. Sie liegen in der Hand Gottes und seiner an sich ohnmächtigen Gemeinde, die mit ihm im Bunde ist und ihn im Gebet anruft.

Reinhold Schneider schreibt in einem seiner Gedichte: Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten… Denn Täter werden nie den Himmel zwingen, was sie vereinen, wird sich wieder spalten, was sie erneuern, über Nacht veralten, und was sie stiften, Not und Unheil bringen." Der Beter ist eine Weltmacht.

Paulus nennt hier ein wichtiges Gebiet der Fürbitte. Er fordert die Kolosser auf, für ihn und seine Mitarbeiter zu beten, dass Gott ihnen eine Tür für das Wort Gottes auftue, zu sagen das Geheimnis Christi.

Aktionen, Programme, Ideen, Sitzungen, Kommissionen sind sicher auch wichtig. Aber vor allen Aktionen, Programmen, Sitzungen, Ideen, Kommissionen im kirchlichen Bereich muss das Gebet stehen. Sonst kann alle Anstrengung sehr schnell wieder im Sand verlaufen, weil allein Gott Segen und Gedeihen zu aller Arbeit geben kann.

Ein Missionar hatte vor Studenten von der großen Erweckung auf der Insel Nias im Pazifik erzählt. Viele Menschen kamen zum Glauben an Jesus Christus, eine lebendige Kirche entstand. Ein Student wollte wissen, wie denn nun eigentlich diese unerhörte Bewegung anfing. „Ja, das habe ich Ihnen doch zu schildern versucht.“ „Gewiss, Herr Missionar. Aber meine Frage ging um etwas anderes, um den Anfang der ganzen Erscheinung. Was haben Sie eigentlich vorher gemacht, dass es zu dieser Erweckung kam?“ „Gemacht? Ja, gemacht haben wir eigentlich nichts. Bloß fünfundzwanzig Jahre lang darum gebetet, Das ist alles.“

Wo Gott im besonderen handelt, wo viele Menschen durch das Wort Gottes gesammelt werden, stehen fast immer andauernde, unermüdliche Beter dahinter. Es sind Menschen, die nicht bei den ersten Schwierigkeiten schlapp machen, sondern gerade dann nicht aufhören, Gott um das Hereinbrechen seines Reiches zu bitten.

Dass jemand glaubt, ist nicht selbstverständlich, sondern oft das Ergebnis vieler Gebete. Denn für Viele ist die Bibel ein Buch mit sieben Siegeln, unverständlich, uninteressant, auch die beste Predigt berührt sie nicht, lässt sie kalt. Die Tür für das Wort Gottes ist verschlossen. Auch der beste und geschickteste Prediger des Evangeliums kann sie nicht aufschließen. Den Schlüssel zum Herzen der Menschen hat allein Gott. Nur er kann den Glauben an sein Wort schenken, nur er kann einem Menschen zeigen: "Jetzt, in der Predigt, bin ja ich angesprochen."

Aber wir können Gott bitten, dass er dies tut, bei uns und bei anderen. Es ist eine wichtige Bitte: Herr, öffne mir die Herzenstür - und nicht nur meine, sondern auch das Herz aller, die das Wort Gottes hören. Das Wort Gottes soll ja Segen bringen, soll ja treffen, bewegen und weiterhelfen, dass Menschen wieder froh und frei nach hause gehen, heute in diesem Gottesdienst, überall wo Gottes Wort verkündigt wird.

Amen