Bayreuth, 10.06.18 1. Korinther 14,1-3.23-25

Liebe Gemeinde! 

"Bereschit barah Elohim ät ha schamajim we ät ha aräz. We ha aräz hajeta tohu wa bohu." So oder ähnlich sprach einmal in einer Predigt ein Pfarrer seine Gemeinde an. Die Köpfe gingen hoch. Die vorher unaufmerksamen Gottesdienstbesucher passten auf einmal auf. "Ihr seid seltsame Leute", fuhr der Pfarrer fort, "wenn ich deutsch mit euch rede, was ihr versteht, passt ihr nicht auf. Wenn ich aber hebräisch, wie ich es eben getan habe, mit euch rede, was ihr nicht versteht, dann hört ihr interessiert zu."

Verwunderlich war die Reaktion der Predigthörer nicht. Das Fremdartige und Ungewöhnliche, ja sogar das Unverständliche zieht uns Menschen an, macht uns neugierig. Und das Bekannte, Gewohnte, Verständliche erhält eine geringere Aufmerksamkeit, - auch im Gottesdienst.

Das war in Korinth zur Zeit des Apostel Paulus auch nicht anders. Dieser hatte dort in jener griechischen Hafenstadt die christliche Gemeinde gegründet. Die korinthischen Christen trafen sich wie wir jeden Sonntag zum Gottesdienst. Man darf sich diesen Gottesdienst sicher nicht so vorstellen, wie er bei uns abläuft. Es redeten und beteten oft mehrere im Gottesdienst. Warum nicht? Aber manchmal ging es drunter und drüber. Paulus sagt hier im 14. Kapitel des 1. Korintherbriefes Einiges zu diesem Thema und mahnt: "Gott ist nicht ein Gott der Unordnung sondern des Friedens."

Besonders lange beschäftigt sich Paulus mit dem Thema "Zungenrede" oder besser gesagt "Zungengebet". Die Korinther waren ganz fasziniert von dieser Gabe, die manche Gottesdienstbesucher hatten. Denn diese Gabe war fremdartig, ungewöhnlich, einfach sensationell. Wenn bestimmte Christen im Gottesdienst beteten, dann konnte Folgendes passieren: Auf einmal brachen sie in unverständliche Laute aus, wie wenn sie eine fremde Sprache sprechen würden. Man kann das wohl so verstehen: Mit ihrem Verstand konnten sie ihr Gebet oder ihren Lobpreis nicht mehr ausdrücken. Sie konnten das nur noch stammelnd sagen, was sie zutiefst bewegte. Die anderen, die auch noch dabei waren, verstanden natürlich nichts davon. Aber die Korinther schätzten diese Gabe sehr hoch ein.

Paulus sieht dies ganz anders. Er möchte den Korinthern klar machen: Lasst euch doch nicht von dem, was so sensationell aussieht und sich anhört, blenden. Die Zungenrede nützt dem anderen im Gottesdienst nichts. Der steht nur staunend daneben und versteht nichts. Und stellt euch mal vor, so Paulus: Ein Außenstehender, einer, der von eurem Glauben noch nichts weiß und versteht, kommt in eure Versammlungen. Müsste er nicht denken: Er ist in eine Horde von Verrückten geraten?

Und damit wären wir bei einem wichtigen Thema angelangt: Worauf kommt es im Gottesdienst an? Paulus sagt hier in 1. Korinther 14: Wichtig ist nicht das Sensationelle. Wichtig ist, ob der Gottesdienst verständlich ist, vor allen Dingen für die, die ihn das erste Mal besuchen, oder ihn seit langer Zeit wieder einmal besuchen.

In unseren evangelisch-lutherischen Gottesdiensten spielt die Zungenrede zwar so gut wie keine Rolle mehr. - In manchen Freikirchen ist das anders. - Trotzdem müssen wir uns fragen: Was würde denn ein Außenstehender von unseren Gottesdiensten halten, wenn er sie besucht? Kann es da nicht auch sein, dass ihm manches unverständlich vorkommt? Da werden Lieder gesungen. Uns sind sie vielleicht ans Herz gewachsen. Wir kennen sie und ihre Melodien. Aber einer, der mit diesen Liedern nicht aufgewachsen ist, versteht vielleicht manche alte Ausdrücke nicht, und auch die Melodien sind ihm fremd. Im Gottesdienstablauf, der Liturgie, geht es sogar griechisch zu. Und dann sich auf eine Rede, genannt "Predigt", die eine Viertelstunde oder länger dauert, zu konzentrieren, fällt auch nicht jedem leicht.

Nun meine ich nicht, dass wir unsere ganze Gottesdienstordnung über den Haufen werfen sollten. Wer sie kennt und verstanden hat, der schätzt sie auch. Auch Konfirmanden können sie verstehen. Man muss sich als Pfarrer halt die Mühe machen, diese Ordnung ihnen zu erklären. Aber wir sollten als Kirche immer die Außenstehenden im Blick haben. Und wir Pfarrer sollten uns die Mühe machen, so zu reden, dass uns jeder verstehen kann. Ob es immer gelingt, dass müssen Sie uns, die wir auf den Kanzeln stehen, sagen. Zusätzlich ist es wichtig, Veranstaltungen anzubieten, die in erster Linie an Außenstehende gerichtet sind, mit neueren Liedern, mit einem einfacheren Ablauf und Themen, die für solche Menschen leicht zu verstehen und ansprechend sind. Das kostet Mühe. Das kostet Zeit. Aber es geht doch um etwas Wichtiges. Es geht darum, dass Menschen in der heutigen Zeit verstehen, worum es im Gottesdienst geht. Es geht nicht darum, ein religiöses Ritual zu vollziehen. Es geht nicht darum, dass mehr oder weniger rhetorisch begabte Menschen eine religiöse Rede halten. Sondern es geht darum, dass Gott mit uns Menschen selber redet.

Zwei Jahre vor seinem Tod hat Martin Luther bei der Einweihung der evangelischen Schlosskirche in Torgau die Aufgabe eines evangelischen Gotteshauses so beschrieben: „ ... dass nichts anderes darin geschehe, denn dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang.“

Das ist eigentlich etwas Ungeheuerliches, was Luther da gesagt hat. Im Gottesdienst werden nicht uralte Worte aus einem verstaubten Buch vorgelesen, werden nicht die Gedanken eines Pfarrers zu einem Bibeltext zu Gehör gebracht. Nein, Gott selber will durch sein Wort Menschen ansprechen und Herzen bewegen. Er ruft und befreit, er tröstet und mahnt. Gott wirkt im Gottesdienst durch sein Wort. Dies ist keine Theorie und bloße Behauptung. Unzählige Menschen, auch ich, haben es erfahren, wie im Gottesdienst Gott durch das Wort von Menschen zu ihnen gesprochen hat.

Es ist wunderbar, dass Gott mit uns redet, um uns etwas mitzuteilen und vor allen Dingen um uns zu verändern. Wir alle brauchen es, dass wir die Stimme Gottes hören. Jeder Mensch, auch wenn er es vielleicht nicht zugibt, sehnt sich in Wirklichkeit nach Erlösung und Hilfe, nach Trost, Liebe und Geborgenheit, dass er frei wird von Sorgen, von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Er sehnt sich letzten Endes, auch wenn er nicht an Gott glaubt, auch wenn er ihn ablehnt, dass sein Schöpfer mit ihm redet. Denn Gottes Wort ist keine neutrale Information über bestimmte Sachverhalte. Es ist eine Kraft, die Herzen bewegt.

Damit dies geschehen kann, braucht es Menschen, die eine bestimmte Gabe haben. Es ist eine Gabe, um die jeder Pfarrer, jeder, der das Evangelium verkündet, bitten muss. Paulus bezeichnet sie als die Gabe des prophetischen Redens.

Wenn wir das Wort "Prophetie" hören, dann denken wir vielleicht an "Wetterprophezeiungen", also Wettervorhersagen. Wir meinen also, es geht bei Prophetie um das Wissen von zukünftigen Ereignissen.

Aber die Aufgabe eines Propheten des Alten Testamentes war eine andere. Er sollte dem König, den Priestern oder dem Volk ihr Versagen und ihre Schuld vor Augen stellen, sie zur Umkehr rufen, an Gottes Willen erinnern, sie lehren, mahnen und trösten. Die Aufgabe eines Propheten ist es, so zu reden, dass die Zuhörer unmittelbar vor Gott gestellt werden, dass sie sich durchschaut wissen, aber auch angenommen durch ihn als seine Kinder.

Denken wir dabei an den Propheten Nathan. Der König David war in tiefe Schuld verstrickt, in Ehebruch und Mord. Er war sich aber dessen nicht bewusst. Der Prophet Nathan besuchte ihn und erzählt ihm die Geschichte von einem himmelschreienden Unrecht. Der König ruft empört: "Der dieses Unrecht getan hat, muss sterben!" Daraufhin spricht Nathan in prophetischer Vollmacht: "Du bist der Mann!" David ist schockiert. Er sieht sein Leben im Lichte Gottes und erkennt seine Schuld durch ein prophetisches Wort. Paulus schreibt zu diesem Vorgang: "Das Verborgene in seinem Herzen wurde offenbar."

Oder denken wir an die Pfingstpredigt des Apostel Petrus. Er hielt sie aus einem prophetischen Geist heraus. Denn diese Rede, so heißt es in der Apostelgeschichte, ging den Zuhörern durchs Herz. Die Worte von Petrus ließen sie nicht unberührt und kalt sondern bewegten sie im Innersten ihres Wesens. Sie begegneten dem lebendigen Gott.

Ich denke an Pfarrer Busch, der im letzten Jahrhundert im Ruhrgebiet Folgendes erlebte: Freunde brachten einen Rollstuhlfahrer in seine Bibelstunden. Er wollte eigentlich nicht, aber seine Freunde nahmen ihn einfach mit. Doch der Mann hörte erstaunlicherweise sehr aufmerksam zu. Er kam freiwillig immer wieder und kam zum Glauben an Jesus. Eines Tages erzählte er Pfarrer Busch, warum er bei seiner ersten mehr oder weniger unfreiwilligen Bibelstunde so aufmerksam zuhörte: "Nun, meine Kumpels haben mich einfach mitgenommen. Und dann wissen Sie ja, was passiert ist." Busch erwiderte erstaunt: "Ich weiß nicht, wovon Sie reden." "Meine Freunde haben Ihnen doch erzählt, dass ich kommen werde. Die ganz Zeit haben Sie doch nur von mir geredet." Busch sagte erstaunt: "Nein, ich wusste nicht, dass Sie kommen. Aber Gott wusste es. Er hat mit Ihnen an diesem Abend geredet."

So könnte ich noch manche Geschichte erzählen, wo Menschen, die Gott sogar recht fern standen, durch eine Predigt angesprochen wurden, als ob sie nur für sie gehalten würde.

Bei jeder Predigt oder Andacht sollte dies geschehen, dass ich merke: Jetzt geht es ja um mich. Diese Worte beschreiben ja meine Situation, mein Leben. Sie treffen mich und sie helfen mir auch.

Wo das geschieht, da ist der Gottesdienst bestimmt nicht mehr langweilig sondern die interessanteste und aufregendste Sache der Welt. Da ist die Gabe der Prophetie wirksam und wird als solche erkannt. Dann werden Menschen, so schreibt es Paulus hier in unserem Predigttext, erbaut, ermahnt und getröstet.

Wichtig für Gottesdienst ist also, dass das, was in ihm geschieht, verständlich ist und die Predigt zur prophetischen Rede wird. Aber es gibt noch etwas drittes, noch Wichtigeres für den Gottesdienst.

Strebt nach der Liebe! Mit diesem Satz beginnt Paulus das ganze Kapitel über den Gottesdienst. Und direkt vorher hat er über sie ein eigenes ganzes Kapitel geschrieben. Ohne sie ist alles nichts, sagt er. Auch wenn ich prophetisch reden könnte, schreibt er, und hätte sie nicht, es wäre nichts. Aller Gottesdienst ist nichts ohne diese Liebe.

Nun rät er: Strebt nach dieser Liebe! Wörtlich: Verfolgt sie! Sucht sie! Wartet nicht, bis sie euch zufällt! Streckt euch nach ihr aus. Ich kann als Pfarrer nur darum bitten: Gib mir, dass in der Predigt deine Liebe zur Sprache kommt. Und Sie als Gottesdienstbesucher können nur darum bitten: Lass mich diese Liebe heute erfahren. Ich spreche jetzt also nicht von menschlicher Liebe, menschlicher Zuneigung, die ja in der Regel mit Sympathie zu tun hat. Ich meine die göttliche Liebe. Und die ist anders als menschliche Liebe. Sie ist absolut voraussetzungslos.

Luther schreibt: „Die Liebe Gottes liebt nicht das Liebenswerte. Sie schafft das Liebenswerte.“ Jeder darf es glauben: Ich bin geliebt! - Nimm doch diese Liebe für dich in Anspruch! Sie ist kein Betrug, so wie menschliche Zuneigung oftmals nicht echt ist. Sie wird dich nicht enttäuschen!

Wo gibt es denn das auf dieser Welt, dass ich bedingungslos angenommen werde, wer ich auch bin? Im Berufsleben wird ja zunächst ein Einstellungsgespräch geführt, ich muss Referenzen vorweisen, bevor ich eingestellt werde. Aber zu Jesus darf jeder kommen, ohne Vorbedingung. Denn er hat gesagt: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ Wir dürfen zu ihm kommen, und wir dürfen uns von ihm beschenken lassen mit seiner Liebe. Er lässt uns auch dann nicht los, wenn wir mit unserem Glauben, unserer Liebe und unserer Hoffnung am Ende sind. Dann glaubt, liebt und hofft er für uns weiter.

Jesus liebt mich, das heißt: Es gibt auf jeden Fall einen, dem bin ich etwas wert, der kümmert sich um mich. Auch wenn alles um mich herum sinnlos erscheint, auch wenn ich vielleicht niemand mehr habe, der mich liebt: Jesus bleibt bei mir. Alle meine Tränen sind bei ihm gezählt. Er übersieht sie nicht.

In einem Lied heißt es: „Ich bin mit dir, was dein Herze auch betrübt und gehe mit, wenn du durch Tiefen gehst. Ich bin dein Gott, der dich je und je geliebt: Mein Platz ist dort, wo du im Dunkeln stehst.“

Diese Liebe ist nicht nur ein Wort, so wie ein berühmter Romantitel es sagt, sondern sie kann erfahren werden. Wenn wir zu Jesus kommen, mit unseren Problemen und Sehnsüchten, ihm unsere Schuld bekennen und um die Erfahrung seiner Liebe bitten, dann können wir eine Freude, ein Glück und eine Befriedigung erleben, die wir nirgendwo anders bekommen. Das größte Erlebnis, das ein Mensch - ob jung oder alt - haben kann, ist das Begreifen der Gegenwart Gottes in seiner Liebe, Vergebung und erlösenden Kraft. Ich weiß, wovon ich rede. Und ich bin froh, diese Botschaft und keine andere weitersagen zu dürfen.

Diese Liebe ist es, die den Gottesdienst erst zum Gottesdienst macht. Und ich wünsche uns allen, dass uns diese Liebe jeden Sonntag begegnet. Dass wir es glauben können: Ich bin bei Jesus willkommen und gerne von ihm gesehen. Er freut sich, dass ich hier bin, denn er liebt mich und will mir das schenken, was ich für mein Leben brauche.

Amen