Bayreuth, den 17.6.18 1. Johannes 1,5-2,6

Liebe Gemeinde!

Wir haben es eben gehört: Leben mit Gott heißt Leben im Licht. Und ohne Gott leben heißt leben in der Finsternis -mit entsprechenden Konsequenzen.

Da kann es so gehen, wie in jener Geschichte, die ich Ihnen erzählen möchte: 

Ein Bergwanderer war mit seinen Freunden in den Alpen unterwegs. Sie hatten eine Sonnenaufgangstour geplant. Nachts um 1 Uhr machten sie sich nach einem kräftigen Mitternachtsfrühstück auf den Weg. Sie wollten zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel sein. Es gab keinen markierten Weg. So kämpften sie sich querfeldein zum Gipfel. Dort erwarteten sie frierend die aufgehende Sonne. Endlich kam sie. Eine Bergspitze nach der anderen erstrahlte im hellen Morgenlicht. Auch auf ihrem Gipfel wurde es hell. Mit großem Erstaunen stellten sie nun fest, dass sie den falschen erklommen hatten. In der Dunkelheit hatten sie unbemerkt die Orientierung verloren und waren auf dem Nebengipfel gelandet. Der von ihnen geplante Gipfel lag in sichtbarer Entfernung neben ihnen.

So kann es einem gehen, wenn man in der Dunkelheit seinen Weg geht. Man verliert leicht die Orientierung und geht falsche Wege.

So geht es auch, wenn ein Mensch seinen Lebensweg ohne Gott gehen will. Er gerät auf Abwege und merkt es nicht einmal. So ein Leben nennt die Bibel "Sünde".

"Sünde" ist nun nicht gerade ein Thema, über das oft geredet wird, auch in der Kirche nicht, oder genauer gesagt nicht mehr. Das hat verschiedene Gründe: Man will zum Beispiel den Menschen kein schlechtes Gewissen einreden. Oder man will den Menschen keine Vorschriften machen, weil man meint, sie wissen schon selber, was richtig und falsch ist. Und vor allen Dingen, meine ich, ist es auch folgender Grund: Man will sich als Pfarrer nicht unbeliebt machen. Wer hört schon gern davon, dass er ein Sünder ist?

Aber was ist denn nun eigentlich "Sünde"? Beim Reden von der Sünde geht es nicht in erster Linie um Moralpredigten: "Du musst dies tun und jenes lassen! Ansonsten bist du kein guter Christ!" Sünde ist etwas viel Tiefergehendes. Das griechische Wort für Sünde „hamartia“, bedeutet Zielverfehlung. Wir sündigen immer dann, wenn wir uns eigene Ziele stecken und eigene Wege gehen. Sünde, das ist in erster Linie Dickköpfigkeit und Eigensinn, die Meinung, alles besser zu wissen als die anderen und vor allen Dingen als Gott. Die Sünde unseres Lebens besteht darin, dass wir eigentlich ganz gut auch ohne Gott auskommen, dass wir nur unser Leben führen, ohne ihn zu fragen, ob das, was wir tun, auch richtig ist. Gott will, dass wir die Sünde konsequent ablegen, dass uns nichts wichtiger wird als sein Wille für unser Leben.

Sünde ist also ein Leben ohne Gott. Also ein Leben ohne den, der kein Spaßverderber ist, der uns alles Schöne im Leben verbieten möchte, sondern es gut mit uns meint. Gott weiß: Wenn wir ihn, wie es in Luthers Auslegung zum 1. Gebot heißt, über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen, dann würde unser Leben gelingen. Er weiß: Wenn wir unseren Nächsten lieben wie uns selbst, dann kreist unser Leben nicht nur um uns selbst sondern wird reich durch gute Beziehungen zu anderen Menschen.

Gott weiß es. Aber der Mensch weiß es oft nicht. Er weiß oft nicht einmal, dass er ein Sünder ist. Das ist sogar von Natur aus so. Bei Besuchen habe ich es schon oft gehört: "Herr Pfarrer, ich bin ein guter Mensch, zumindest nicht schlechter als die anderen, auch nicht schlechter als die, die jeden Sonntag in die Kirche rennen. Sicher, Fehler haben wir alle. Aber Gott ist doch nicht kleinlich, dass er uns deshalb zur Rechenschaft zieht."

Johannes sagt zu so einer Einstellung, - ich habe es ja soeben vorgelesen: "Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns."

Auch und vielleicht sogar gerade fromme Menschen leben in so einem Selbstbetrug. So wie jene junge Frau, die zu einem Seelsorger ging. Sie sagt: "Jetzt habe schon ich drei Jahre nicht mehr gesündigt." Der Pfarrer antwortet trocken: "Das ist aber schade." Die Frau ist geschockt. "Warum?" will sie entgeistert wissen. "Weil Sie dann seit drei Jahren keine Christin mehr sind", erwidert der Seelsorger ruhig, "denn wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns."

Manchmal braucht es solche Worte wie die des Pfarrers. Sie sind wie Blitze, die die Dunkelheit im Leben eines Menschen erhellen. Nur Gott selber und sein Wort, das er selber in der Bibel oder seine Boten sagen, können diese Dunkelheit hell machen.

Wer sich seiner Schuld nicht stellt, verzichtet auch auf die Erfahrung einer großen Freiheit und Freude, die Freiheit und Freude, die uns die Vergebung Gottes gibt. Und deshalb muss auch in einem Gottesdienst von Sünde gesprochen werden. Es geht nicht darum, einen anderen fertig zu machen. Es geht nicht darum, einem einen Schuldkomplex einzureden. Es geht auch nicht darum, im Leben eines anderen so lange herumzustochern, bis etwas Unrechtes ans Licht kommt. Sondern es geht darum, die Macht der Sünde zu brechen.

Wir brauchen Männer und Frauen, die in Liebe und Klarheit es wagen, Sünde beim Namen zu nennen. Wir brauchen auch die 10 Gebote, anhand derer wir uns selber erkennen können. Wir brauchen die Stücke zur Beichte in unserem Gesangbuch. Wir brauchen Predigten, die Sünde beim Namen nennen. Denn wir können nur dann unsere Schuld erkennen, wenn Gott selber uns anspricht, durch das, was andere Menschen in seinem Namen zu sagen haben, oder was ich in seinem Wort lese.

Gottes Wort ist wie ein Licht, das in mein dunkles Leben hineinleuchtet und so manches sichtbar macht, was wir vorher gar nicht bemerkt haben.

Wir sind in der Lage eines Menschen, der in einem finsteren Kohlenkeller sitzt. In der Dunkelheit kann er sich einbilden, dass er doch ganz sauber wäre. Aber sobald Licht in den Keller kommt, kann er schnell seinen Irrtum bemerken, wie er über und über mit Kohlestaub bedeckt ist.

Die gleiche Wirkung wie das Licht hat das Wort Gottes, vorausgesetzt, wir setzen uns ihm aus und schließen nicht vor seiner aufdeckenden Wirkung die Augen.

Natürlich ist die Erkenntnis, ein Sünder zu sein beunruhigend, ja erschreckend. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Aber es wäre nun grundfalsch, sich deshalb nicht der Wahrheit zu stellen.

Das wäre höchst dumm. Genau so dumm wie ein Patient, der den Befund seines Arztes nicht wissen will. Genau so dumm wie jener Rheumakranke, dem sein Arzt schmerzhafte Massagen für sein Bein verschrieben hatte. Aber er hielt dem Masseur sein gesundes Bein hin. Das tat nicht so weh. Aber es konnte ihm natürlich auch nicht geholfen werden.

Wer die Wahrheit, die Jesus ihm zu sagen hat, nicht hören will, betrügt sich selber. Er betrügt sich um die Hilfe. Jesus stellt wie ein guter Arzt die richtige Diagnose. Aber er tut es ja nicht, um uns fertigzumachen sondern um uns zu helfen. Er will ja die geeigneten Maßnahmen ergreifen, die für uns gut sind.

Sünde können wir los werden. Die Möglichkeit dafür hat Gott selber geschaffen. Jesus hat sie geschaffen, durch seinen Tod am Kreuz. Durch seinen Tod hat er die Last unserer Sünde auf sich genommen. Er tat dies aus Liebe zu uns, stellvertretend für uns. Deshalb stimmt das, was Luther gesagt hat: Es gibt nur zwei Orte, auf dem unsere Sünde liegen kann: "Entweder ist sie bei dir, dass sie dir auf dem Halse liegt. Oder sie liegt auf Christus, dem Lamm Gottes. Wenn sie nun dir auf dem Rücken liegt, so bist du verloren. Wenn sie aber auf Christus ruht, so bist du frei und wirst selig."

Liegt die Sünde auf uns, so ist sie wie eine schwere Last, die uns niederdrückt. Liegt sie auf Christus, so ist sie uns abgenommen und wir können wieder aufleben. Liegt die Sünde auf uns, so schnürt sie ein. Wir sind Sklaven unserer gierigen, sorgenden und selbstsüchtigen Gedanken. Liegt sie auf Christus, so sind wir von seiner Liebe befreit. Liegt die Sünde auf uns, so ist sie wie ein Spinnennetz, das uns einwickelt. Je mehr wir aus eigenen Kräften versuchen, davon frei zu werden, desto mehr verstricken wir uns darin. Liegt sie auf Christus, dann vertauschen wir das Netz der Sünde mit dem Netz seiner Liebe. Dieses Netz schnürt uns nicht ein, sondern fängt uns auf und bewahrt uns vor dem Absturz.

Wir können die Last der Sünde loswerden, wenn wir sie Gott bekennen. Wir nennen das in der Kirche "Beichte". Beichte, klingt vielleicht langweilig, ist es aber nicht. Beichte, das klingt verstaubt. Dabei kann unser Leben neu werden. Beichte klingt nach Mittelalter, dabei ist sie hoch aktuell.

Ich stelle mal die Behauptung auf: Insgeheim hat jeder den Wunsch, all das, was ihn belastet, loszuwerden, endlich mal alles sagen zu dürfen, uns einmal ganz aussprechen zu können. Wir trauen uns nur oft nicht. Wo kann man schon ehrlich werden ohne Angst haben zu müssen, anschließend in die Pfanne gehauen zu werden? Bei Gott kannst du das. Ehrlichwerden ohne Angst - das heißt auf ,,fromm" ausgedrückt: Beichte. Ehrlich werden, das ist so wichtig.

Ich kann nur jedem unter uns Mut machen: Gönne dir doch immer wieder einmal eine Beichte!

Und wie sieht das praktisch aus, wenn man beichtet? Wir können im Gebet Gott unsere Schuld sagen. Allerdings spricht uns dann niemand zu: „Deine Schuld ist dir vergeben!“ Deshalb gibt es noch ein anderes Angebot. Wir können auch zu einem Christen unseres Vertrauens gehen und uns dort aussprechen. Haben Sie das schon einmal gemacht? Und wann haben Sie das das letzte mal getan?

Sicher, wir kennen in der evangelischen Kirche keinen Beichtzwang. Trotzdem ist beichten etwas, das Martin Luther immer wieder selber praktiziert und anderen dazu Mut gemacht hat. Im Großen Katechismus schreibt er: "Wenn ich andere dazu vermahne zu beichten, vermahne ich sie dazu ein Christ zu sein." Bleiben wir auf jeden Fall mit unserer Schuld nicht alleine. Gönnen wir uns das, was Gott uns schon lange gönnt: die befreiende Erfahrung der Vergebung.

Ich habe es schon von so manchem erlebt: die kamen zu mir und haben ihre Schuld bekannt. Und ich habe ihnen die Vergebung zugesprochen. Und dann war es manchmal so: Die haben so gestrahlt, als ob jemand einen Scheinwerfer angeschaltet hat. Und da sag einer, dass Christsein langweilig ist.

Heute in diesem Gottesdienst wird es uns ein wenig leichter gemacht als in einem persönlichen Beichtgespräch. Dafür allerdings auch ein wenig anonymer und unpersönlicher. Aber trotzdem kann heute jeder von uns, ob so blutjung wie unsere Konfirmanden oder so alt wie der älteste Großvater unter uns, diese Erfahrung machen: Gott nimmt mich in seine Arme und vergibt mir. Ich möchte Euch und Sie in diesem Gottesdienst noch einladen, zunächst einmal still zu werden, still zum Gebet. Da darf jeder das sagen, was nicht recht war in seinem Leben und Gott um Vergebung bitten.

Dann wollen wir gemeinsam das Beichtgebet Martin Luthers sprechen., ganz bewusst, auch wenn viele unter ihnen diese alten Worte schon oft gesprochen haben: "Allmächtiger Gott, barmherziger Vater, ich armer elender, sündiger Mensch bekenne dir alle meine Sünde und Missetat, die ich begangen in Gedanken, Worten und Werken, womit ich dich erzürnt und deine Strafe zeitlich und ewiglich verdient habe." Und dann werden wir in diesem Gebet Gott um Vergebung bitten, um Gnade und Barmherzigkeit. Wer dieses Gebet von Herzen mitbetet, dem vergibt Gott auch von Herzen, nicht wegen unseres Bekenntnisses und nicht wegen unserer Reue, sondern um Christi willen.

Vergebung, das ist mehr als sich zu seiner Schuld stellen, betrauern, sie verarbeiten, Versöhnung anstreben, aber ansonsten mit seiner Schuld leben. Vergebung heißt, die Sünde ist wirklich ausgelöscht, als ob sie nie geschehen wäre. Ihre Macht ist gebrochen. Dafür ist in uns eine andere Kraft am Werke. Das ist der Geist Gottes. Das ist wichtig. Denn bei der Beichte geht es ja auch um Veränderung. In dem Beichtgebet Luthers heißt es nicht nur: "… du wollest mir armen und sündhaften Menschen gnädig und barmherzig sein, mir alle meine Sünden vergeben…" sondern auch noch zum Schluss: "… und zu meiner Besserung deines Geistes Kraft verleihen."

Beichte ohne diese Bitte um Veränderung taugt nicht viel. Dann ist sie zu einem Beruhigungsmittel verkommen, das eine Zeitlang wirkt, bis ich es wieder brauche. Aber es verändert sich nie etwas im Leben. So ein Christsein wäre ein großes Missverständnis, das Missverständnis, dass Vergebung ohne den Willen und die Bereitschaft zur Veränderung möglich ist.

Sicher, diese Veränderung funktioniert nicht durch gute Vorsätze sondern nur durch die Kraft des Geistes Gottes. Dieser Kraft darf ich mein Leben überlassen, jeden Tag und jede Stunde.

Und wenn ich nun doch immer wieder versage? Dies wird sicher immer wieder geschehen, dass wir uns von der Sünde überrumpeln lassen und nicht mit dem Sieg Gottes rechnen.

Johannes schreibt zu dieser Frage: „Wenn wir aber sündigen, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist.“ Wenn wir schuldig werden, so haben wir einen, der sich bei Gott für uns einsetzt. Er lässt uns nicht fallen, wenn wir noch so oft versagen. Auf dem Weg des Glaubens darf jeder mit seiner Schuld immer wieder zu Gott kommen. Und er darf nach jedem Versagen trotzdem glauben: Ich bin befreit von der Macht der Sünde. Das heißt: Ich muss nicht ein Leben lang die gleichen Fehler begehen und meinen Schwächen nachgeben. Sondern ich darf mit der Kraft Gottes rechnen, die gerade in unserer Schwachheit mächtig ist.

Amen