Bayreuth, den 15.7.18 Philipper 2, 1-4

Liebe Gemeinde! 

In Amerika fragte einmal eine Grundschullehrerin zu Beginn ihrer Religionsstunde ihre Klasse: „Wer von euch möchte später einmal in den Himmel kommen?“ Alle Kinder der Klasse streckten den Arm hoch. Nur Charlie nicht. Da wandte sich die Lehrerin erstaunt an ihn: „Charlie, du möchtest nicht?“ Der Junge antwortet: „Natürlich will ich in den Himmel kommen, aber doch nicht mit diesem Haufen da!“

Ich vermute: Charlie war ein guter Schüler. Er war ein braver Junge, der immer gut aufpasste, was die Lehrerin sagte. Und es nervten ihn die anderen Kinder, die nicht so gut im Unterricht mitmachten, die störten und nicht auf das hörten, was die Lehrerin sagten. Es fiel ihm schwer, in der Schule mit seinen Mitschülern auszukommen. Und dann sollte er noch im Himmel mit ihnen zusammen sein? Nein, danke!

Aber im Himmel werden wir nicht alleine sein. Wir werden mit denen zusammen sein, die wir die Gemeinde Jesu Christi nennen. Es gibt kein Solochristentum, weder im Himmel - noch auf Erden. Christ sein kann ich nur in der Gemeinde. Ich brauche sie, um im Gottesdienst gemeinsam Gott zu loben, zu ihm zu beten und sein Wort zu hören. Ich brauche sie, damit die anderen Christen mit mir und für mich beten und helfend zur Seite stehen. Und vor allen Dingen: Die anderen brauchen mich auch.

Klar, es gibt keine ideale Gemeinde. Manchmal gleicht sie tatsächlich einem Haufen, einem kümmerlichen Haufen, wo es nicht immer liebevoll und rücksichtsvoll zugeht. Das ist heute so. Und das war auch zur Zeit des Apostel Paulus so. Unser Predigttext war an die christliche Gemeinde von Philippi gerichtet. Mit ihr war der Apostel Paulus besonders verbunden. Sie war gewissermaßen seine "Lieblingsgemeinde". Von ihr erfuhr er herzliche Liebe, Anteilnahme an seinem Schicksal und Unterstützung. Darüber freute er sich.

Allerdings - auch in Philippi war nicht alles in Ordnung. Unter den dortigen Christen gab es auch Egoismus, Streit und Überheblichkeit.

Das kennen wir auch in unserer Gesellschaft. Individualismus und Selbstverwirklichung werden groß geschrieben. Die Erfüllung der eigenen Ziele in Ehe, Familie, Beruf und Freizeit ist allgemein zum höchsten Ziel geworden. Die wichtigste Frage im Leben lautet: „Was bringt mir das?“ Ansprüche auf das eigene Leben wehrt man ab mit Sätzen wie: „Das ist mein Leben. Da hast du mir nichts reinzureden.“ Oder: „Ich will schließlich was vom Leben haben.“ Oder. „Du engst mich ein. Ich lass mich scheiden.“ Oder: „Ich schmeiß alles hin. Es macht mir keinen Spaß mehr.“ Aussagen wie vom Chefmacho der Nation Dieter Bohlen finden viele cool: „Wenn jeder an sich denkt, dann ist doch allen geholfen.“ Eben nicht. Wenn alle dieses Lebensmotto verwirklichen würden, wären wir ein Heer von Egozentrikern, von Neurotikern, von Ellenbogenmenschen, von Einsamen und Depressiven. Die einen würden sich durchsetzen, die anderen blieben auf der Strecke. Und glücklich wäre niemand.

Und in unserer Gemeinde? Da ist auch so viel, was mich wie Paulus freut. Da gibt es so viel Engagement wie in Chören, als Gruppenleiter, im Kirchenvorstand, als großzügiger Spender oder in unserer offenen Kinder- und Jugendarbeit "kids-Treff". Und doch habe ich den Eindruck, dass in den letzten Jahren die Bereitschaft sich ehrenamtlich zu engagieren, abgenommen hat. Es ist schwerer, Gemeindeglieder dafür zu begeistern, in einem Chor mitzusingen. Es dauert oft lange, bis wir welche finden, die bereit sind, eine neue Jungschargruppe zu leiten. Wenn mal jemand gesucht wird, unsere Gemeindenachrichten auszutragen, dann meldet sich oft keiner. Klar, so eine Aufgabe ist nicht cool, aber doch wichtig. Ein weiteres Beispiel: Wir haben in unseren Gruppen oft eine herzliche und intensive Gemeinschaft. Aber doch sagen immer wieder Leute, dass es oft schwer ist, in diese Gruppen hineinzukommen.

Vor kurzem habe ich ein Interview mit dem bremer Pastor Klaus Pache gelesen. Er leitet eine Gemeinde, die in den letzten Jahren stark gewachsen ist. Aber der Gottesdienstbesuch ist nicht gewachsen. Viele, auch stark engagierte Mitarbeiter, gehen nicht mehr regelmäßig in den Gottesdienst. Den Gottesdienst kann man ja auch am Montag in der Mediathek der Kirchengemeinde anschauen oder nachhören, wenn man es denn tut. Gewöhnungsbedürftig, meinte Pache. Ein freiwilliger Verzicht auf Gemeinschaft, meine ich. Der Trend zum Individualismus macht auch vor den Kirchengemeinden nicht halt, auch nicht vor unserer.

Paulus mahnt seine "Lieblingsgemeinde": Es ist so wichtig, dass ihr einig seid, dass ihr zusammensteht, dass ihr euch nicht auseinanderdividieren lasst. Ein Herz und eine Seele sollt ihr sein. Diese Einigkeit, das Zusammenstehen und Zusammenhalten war ja auch das, was die ersten Christengemeinden für die Heiden so anziehend machten. Der heidnische Philosoph Celsus, ein Kritiker des Christentums, musste zugeben: "Sie haben sich lieb, selbst wenn sie sich nicht kennen." Das war spöttisch gemeint, war aber von ihm ungewollt ein Lob.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass auch in unserer Gemeinde die Zentrifugalkräfte in den letzten Jahren stärker geworden sind, also die Kräfte, die uns auseinanderziehen und von einander wegziehen wollen. Was tun? Nur die Liebe bringt uns zueinander. Nicht die Liebe, die man hat, weil man sich sympathisch ist sondern die Liebe Jesu, die man zu einem hat, weil er auch an Jesus glaubt, weil man durch diese Liebe "tief verbunden" ist, wie es in einem Lied heißt, wie in einer guten Familie.

Es ist eine Liebe, die, wie Paulus hier schreibt, den anderen höher achtet als sich selbst. Diese Eigenschaft nennt man Demut. Demut - dieses Wort hat in unserem normalen Sprachgebrauch keinen guten Klang. Man verbindet es mit Unterwürfigkeit und sich Anbiedern. Unsere jungen Leute verwenden dafür ein Wort, das heißt "sich einschleimen", etwa beim Lehrer, um einen guten Eindruck bei ihm zu hinterlassen und vor allen Dingen gute Noten zu bekommen. Da ist also Demut ein berechnendes Verhalten, um für sich einen Vorteil herauszuschinden.

Aber Paulus geht es um etwas Anderes. Demut ist für ihn kein frommes Theater, das gar nicht echt ist, auch kein sich selbst verachten und selbst beschimpfen, weil man noch so viele Fehler hat.

Wir brauchen ja Anerkennung und Lob. Wir sind auch auf Wertschätzung und Erfolg angewiesen. Das brauchen wir für unser Selbstwertgefühl.

Da hat sich jemand zum wiederholten Male auf eine neue Stelle beworben. Das Bewerbungsgespräch verlief gut. Aber die Stelle bekommt doch ein anderer. Da kommt die Enttäuschung. Die Niederlage nagt an seinem Selbstwertgefühl. Wie soll er das einfach demütig hinnehmen und sich womöglich noch für den erfolgreicheren Konkurrenten freuen?

Aber da fällt ihm ein Bibelwort ein, ein Satz, den Gott durch den Propheten Jesaja gesagt hat: "Weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und ich dich lieb habe." Durch dieses Wort geht ihm auf: Mein Selbstwertgefühl hängt nicht von einem erfolgreichen Bewerbungsgespräch ab. Sondern ich bin wertvoll, weil Jesus mich lieb hat, weil er für mich am Kreuz gestorben ist, mir meine Schuld vergibt, mir hilft und beisteht in allen Dingen.

Ein Demütiger hat ein doppeltes Wissen: Zum einen hat er die abgründigen Tiefen seines Wesens erkannt. Er hat gemerkt, zu welchem Bösen er fähig ist und wie viel Böses er auch schon getan, gesagt oder nur gedacht hat. Zum anderen hat er auch die abgründigen Tiefen der unverdienten Liebe Gottes zu ihm entdeckt. So wie ich bin, so hat er beglückt erfahren, nimmt mich Gott an.

So einem Menschen fällt es nicht schwer, zu den anderen hinaufzuschauen. Er muss sie nicht verachten, denn er weiß ja um seine eigenen Schwächen und Sünden. Auch er ist ja nicht besser wie der andere sondern eher schlechter. Und wenn er ein offensichtliches Fehlverhalten von einem anderen entdeckt, so weiß er: Auch ich wäre zu so etwas Schlimmen oder Dummen fähig. Auch in mir schlummert das gleiche Böse.

Er muss auch niemanden beneiden. Denn er weiß ja, dass er trotz seiner Fehler von Gott geliebt, und trotz seiner Schwächen von ihm so gewollt ist. Wieso soll ich einen anderen um etwas beneiden, was er hat und ich nicht? Ich habe doch das Größte, was ein Mensch besitzen kann: die unverdiente und ungeteilte Zuwendung Gottes! Mein Selbstwert wird nicht dadurch bestimmt, wie mich andere wahrnehmen, sondern wie mich Gott wahrnimmt. Ich bin von ihm geliebt. Deshalb habe ich es gar nicht nötig, andere zu beneiden oder um die Anerkennung von Menschen zu kämpfen. Wir sollten vielmehr darum kämpfen oder Gott darum bitten, dass wir uns selbst und seine Liebe erkennen.

In dieser Demut kann ich auch den Rat des Paulus in unserem Predigttext beherzigen und danach handeln: "Ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient".

Das heißt ja: Beschäftige dich nicht nur mit deinen eigenen Angelegenheiten, mit deinen Aufgaben und deinen Interessen, mit deinen Problemen und Schwierigkeiten. Das darf ich natürlich auch. Paulus schreibt hier ja: "Schaut auch auf das, was dem anderen dient." Dieses Wörtlein "auch" brauchen wir nicht zu übersehen. Natürlich dürfen wir uns auch selber etwas Gutes gönnen und müssen nicht immer an den anderen denken.

Aber das andere gilt auch: Habe auch die anderen im Blick, die mit denen du zu tun hast, in der Schule, an der Uni, an deinem Arbeitsplatz und auch zu hause in deiner Familie. Das sind die Menschen, die dir Gott vor die Füße legt. Sie brauchen deine Liebe.

Ich denke an die Geschichte von zwei Brüdern. Sie wohnten beieinander und bearbeiteten das gleiche Feld. Zur Erntezeit brachten sie das Getreide ein und teilten es in zwei gleich große Garbenstöße.

Es wurde Nacht. Der ältere und unverheiratete Bruder dachte: Mein Bruder hat Frau und Kinder. Ich dagegen bin alleine und ohne Kinder. Mein Bruder braucht doch mehr Garben als ich. Dann nahm er heimlich einen Teil seiner Garben und stellte ihn zu den Garben seines Bruders.

Der jüngere Bruder wurde allerdings auch wach und dachte sich: Mein Bruder ist allein und hat keine Kinder. Wer soll in seinen alten Tagen für ihn sorgen? Und er tat das Gleiche wie sein anderer Bruder kurze Zeit vorher.

Am nächsten Tag waren beide erstaunt, das ihre Garbenstöße doch gleich groß waren wie am Abend zuvor. Aber keiner verlor darüber ein Wort.

In der nächsten Nacht taten beide wieder das Gleiche. Jeder nahm von seinen Garben, um sie auf den Stoß des anderen zu legen. Auf halbem Weg trafen sie aufeinander, und jeder erkannte, wie gut es der andere mit ihm meinte. Da ließen sie ihre Garben fallen und umarmten einander in herzlicher Liebe.

Es geht Paulus wie immer in seinen Ermahnungen nicht um fromme Leistung und Pflichterfüllung. In Vers 5 lenkt er den Blick auf Jesus: "Seid so unter euch gesinnt, wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht." Und dann erzählt er die Jesusgeschichte. Wie er als Sohn Gottes auf seine Göttlichkeit und Herrlichkeit im Himmel verzichtet hat, freiwillig, aus Liebe, um Mensch zu werden und für uns sterben zu können.

Halte dir das immer wieder vor, beschäftige dich mit dieser Liebe und danke für sie. Vergiss nicht, wie es in einem Psalm heißt, was er dir schon alles Gutes getan hat sondern denke immer wieder daran und danke dafür. Dann kommt diese Jesusliebe auch in dein Leben hinein und gibt dir die Kraft andere zu lieben, nicht mit deiner sondern mit seiner Liebe.

Nochmal zum Schluss: Christsein heißt nicht, sich zu bemühen, dass man so wird wie Jesus Christus. Sondern es heißt erst einmal zu erkennen, dass ich eben nicht diese Einstellung wie er habe. Ich bin kein wunderbares, herrliches Gefäß für die Liebe Gottes. Ich bin eher ein Scherbenhaufen, der am Boden liegt. Aber dieser Scherbenhaufen fängt an zu funkeln, wenn die Sonne auf ihn fällt. So werde ich auch verändert, lieber, freundlicher, wenn die Liebe Jesu in mein Leben fällt.

Danke ihm für seine Liebe, nicht nur einmal, immer wieder, und du wirst dich wundern, was er aus deinem Leben macht!

Amen