Bayreuth, den 7.10.18 1. Timotheus 4,4-5

Liebe Gemeinde!

Für uns alltäglich: Wir besuchen einen Supermarkt und kaufen ein. Oft fängt so ein Einkauf bei der Obst- und Gemüseabteilung an. Dann geht es weiter. Wir kaufen etwa Tee und Kaffee. Mit Zangen kann man sich Brötchen und Gebäck in Tüten legen. Aus dem Kühlregal können wir Milch und Butter mitnehmen, auch Wurst und Fleisch oder vielleicht einmal eine Tiefkühlpizza, weil es heute schnell gehen muss. Mit Getränken jeder Art können wir unseren Einkaufswagen vollladen. Und irgendwo findet man auch den versteckten Zucker und das Mehl. Dann geht es zur Kasse. Wir bezahlen und bringen unsere gekauften Sachen nach hause.

Hunderte Male haben wir so einen Einkauf schon getätigt. Für uns selbstverständlich. Aber für Menschen aus armen Ländern sicherlich nicht. Ich kenne eine Frau, die einige Jahre in Afrika gelebt hat. Dann kehrte sie in ihr Heimatland Deutschland zurück. Beim Einkaufen hatte sie richtiggehend Probleme. Sie war die Fülle der Waren, ja den Überfluss, nicht mehr gewohnt. Oder: Die Älteren unter uns wissen das sicher noch: In der DDR war die Banane das Symbol des Überflusses. Es gab von ihnen zu wenig zu kaufen. In den ersten Jahren nach der Grenzöffnung gab es deshalb in den neuen Bundesländern einen richtigen Boom auf diese Südfrucht.

Aber kehren wir zurück zu unserem Einkauf. Vielleicht ist der eine oder andere innerlich zusammengezuckt, als ich die gekauften Sachen aufgezählt habe. Tiefkühlpizza? Das ist doch Junk-Food! Obst und Gemüse? Schön und gut. Aber doch bitte keine Erdbeeren aus Spanien sondern aus Deutschland. Fleisch aus dem Supermarkt? Das schnurrt beim Braten doch auf die Hälfte zusammen! Kaffee? Aber nur der fair gehandelte. Und Brötchen aus dem Plastikfach? Die schmecken doch nur nach Gummi!

Sicher, ich habe bewusst etwas überzeichnet. Aber beim Essen hört für viele der Spaß auf. Essen ist heute oft eine religiöse Handlung geworden. Zu den 10 Geboten ist das 11. Gebot gekommen: Du darfst dieses und jenes nicht essen. Und es ist eine Sünde, wenn du es tust.

Es gibt sicher viele, viele gute und gut gemeinte Ernährungsvorschläge. Aber bei aller Sorgfalt, die man auf das Essen richten sollte, gilt: Essen soll keine Qual sein, wo ich auf jede Kalorie und jedes Gramm Fett übergenau achte. Es darf auch Freude bereiten. Ich darf mit Genuss auch einmal ein Stück Schokolade und eine Portion Eis essen. Ich darf mir auch ab und zu ein Stück Schweinebraten und ein Steak schmecken lassen.

Was ich mit Danksagung empfangen kann, so sagt Paulus, das ist nicht verwerflich. Wer natürlich seinen Wanst Tag für Tag mit Süßigkeiten voll stopft, der kann Gott nicht danken. Er schädigt seinen Körper. Und wer aus dem Gläschen Rotwein jeden Tag eine oder mehrere Flaschen macht, der kann auch dafür nicht dankbar sein, dass er seine Gesundheit ruiniert.

Umgedreht gilt auch: Wer jeden Tag nur ein paar Karöttchen und ein paar Blättchen Salat isst, um wie jene ausgehungerten Models auszusehen, tut seinem Körper auch nichts Gutes. Der Schlankheitswahn, der vor allen Dingen junge Mädchen erfasst hat, ist bestimmt nicht gottgewollt. Und wer darunter leidet, der sollte sich am besten professionelle Hilfe suchen.

Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, auch unser Körper. Wir können ihn deshalb nicht schlecht durch übermäßiges Essen und Trinken oder radikale Hungerkuren behandeln. Sondern wir haben allen Grund dafür, dankbar zu sein, wenn Gott uns einen gesunden und funktionstüchtigen Leib geschenkt hat. Auch allen anderen Gaben Gottes können wir nur mit einer großen Achtung und Dankbarkeit gegenübertreten.

Wir hier in Deutschland haben wirklich allen Grund zum Dankbarsein. Denn es geht uns besser als den allermeisten Menschen auf dieser Erde.

Es drückte einmal jemand so aus:
Wenn du heute Morgen gesund aufgewacht bist, ... geht es dir besser als der einen Million, die diese Woche nicht überleben werden. 
Wenn du nie einen Krieg, nie Gefangenschaft, Folter oder Hunger gespürt hast, ... bist du glücklicher als 500 Millionen Menschen auf der Welt.
Wenn du Nahrung im Kühlschrank, Kleidung auf dem Leib, ein Dach über dem Kopf und ein Bett zum Schlafen hast, ... bist du reicher als 75 Prozent der Menschheit.
Wenn du an einem Gottesdienst teilnehmen kannst, ohne die Angst, verfolgt, bedroht, verhaftet, gefoltert oder getötet zu werden, ... bist du gesegneter als drei Milliarden anderer Menschen auf dieser Welt.
Wenn du Geld auf der Bank, in deinem Portemonnaie, oder auch nur irgendwo herumliegen hast, ... gehörst du zu den 8 Prozent wohlhabenden Menschen.
Wenn du in dem Gesangbuch, das du in der Hand hältst, lesen kannst, ... bist du reicher als über zwei Milliarden Menschen in dieser Welt, die gar nicht lesen und schreiben können.

Wir sind oft nur auf das fixiert, was uns fehlt, und werden dadurch unglücklich, mürrisch, undankbar und depressiv. Dabei sind es oft nur Kleinigkeiten, die uns niederdrücken wollen. Sie erscheinen uns oft nur so groß, weil wir ihnen nicht die vielen, vielen guten Gaben gegenüberstellen, die wir Gott zu verdanken haben.

Gerade das Erntdankfest bietet einen hervorragenden Anlass, uns in das Danken einzuüben. Setzen wir uns doch heute einmal in einer ruhigen Stunde hin und überlegen wir uns, was Gott uns alles Gute in den letzten Wochen und Monaten getan hat. Es ist sicher mehr, als wir meinen, auch wenn wir der Ansicht sind, wir haben gar nicht viel zu danken, weil es uns nicht gut geht.

Wenn wir so denken, kann uns vielleicht folgende Geschichte helfen: Die beiden holländischen Schwestern Cornelia, genannt Corrie und Elisabeth, genannt Betsie ten Boom mussten Schlimmes durchmachen. Weil sie aus Nächstenliebe Juden versteckten, wurden sie von den Nazis bestraft. Sie kamen in ein Konzentrationslager und wurden schließlich in eine riesige Baracke mit hunderten von Insassinnen gebracht. Sie mussten auf großen Plattformen mit übelriechendem Stroh schlafen. Das Schlimmste waren für Corrie die Flöhe. "Wie sollen wir hier in dieser Höhle leben?" jammerte sie. Betsie forderte ihre Schwester auf: "Lies noch einmal die Bibelstelle, die wir heute früh gelesen haben." Corrie folgte ihrer Schwester und kam auch zu den Worten: "Seid dankbar in allen Dingen." "'Seid dankbar in allen Dingen!' Das ist die Antwort auf deine Frage! Wir können jetzt gleich beginnen, Gott für alles in dieser Baracke zu danken." Corrie starrte ihre Schwester an: "Für was denn?" "Dafür zum Beispiel, dass wir hier zusammen sind." "Oder für das, was du in Händen hältst, deine Bibel." Tatsächlich konnten sie wunderbarerweise ihre Bibel hineinschmuggeln. Corrie nickte und betete: "Und danke für die vielen Frauen, die hier in diesem Raum dir durch dieses Buch begegnen werden." "Ich danke dir", fuhr Betsie fort, "für die Flöhe und für…" Das war für Corrie zu viel: "Betsie, selbst Gott kann mich nicht dazu bringen, für einen Floh zu danken." "Seid dankbar in allen Dingen" zitierte ihre Schwester. Und so dankten sie für die Flöhe. Aber diesmal war Corrie sich sicher, dass Betsie sich irrte.

Betsie verbrachte Stunden am Tag damit, den Frauen, die in dieser Baracke arbeiten mussten, aus der Bibel vorzulesen und von ihrem Glauben zu erzählen. Sie konnte es nahezu ungestört tun. Merkwürdigerweise kam nie eine Aufseherin in diese Baracke. Erst später erfuhren sie den Grund: Es war wegen der Flöhe. Die Aufseherinnen weigerten sich, diesen Raum zu betreten. Eine von ihnen sagte: "Da gehe ich nicht rein. Da wimmelt es von Flöhen." Als Corrie diesen Satz hörte, dachte sie an das Gebet ihrer Schwester: "Und ich danke dir für die Flöhe."

So kann es uns ja auch gehen: Oft erst hinterher entdecken wir: Das Unangenehme, das Lästige, das Schwere in unserem Leben, hat Gott auch hineinverordnet. Es hatte auch seinen Sinn. Wahrscheinlich sind wir nicht fähig, wie Betsie ten Boom, in einer schlimmen Situation dafür zu danken. Aber hinterher können wir es doch tun, wenn wir gemerkt haben: Es war doch gut für uns, dieses Schwere durchgemacht zu haben.

Wir sind in keiner vergleichbaren Lage wie Corrie und Betsie ten Boom. Wir dürfen in Freiheit leben, uns stechen keine Flöhe, wir haben genug zu Essen und zu Trinken. Wir leben im Überfluss und stehen deshalb in Versuchung, unser Essen für selbstverständlich zu nehmen. Doch das wäre pure Undankbarkeit.

Es ist wichtig, beim Essen das Danken nicht zu vergessen. Denn was wir da zu uns nehmen, sind ja nicht nur Produkte. Wir sprechen zwar von landwirtschaftlicher Produktion, von Milchproduktion und Fleischproduktion. Produkte sind dazu da um verkauft und konsumiert zu werden. Muss ja auch so sein. Die Landwirte leben ja vom Verkauf ihrer langwirtschaftlichen Produkte. Aber Milch, Getreide, Fleisch sind mehr als nur Produkte. Sie sind Gaben Gottes. Für die können wir dankbar sein. Heute am Erntedankfest wollen wir dies tun und mit einstimmen in die Worte aus dem Psalm 136,1:

"Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich." Oder in die Worte aus dem 92. Psalm: "Das ist ein köstlich Ding, dem Herrn danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster, des Morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen."

Danken und Denken hängen im Deutschen sprachlich zusammen. Tatsächlich, wer dankt, der denkt. Er denkt über seinen eigenen Horizont hinaus. Er denkt an Gott und weiß, dass alles im Leben ein großes Geschenk ist. Wer dankt, der denkt aber auch an seinen Nächsten. Ich kann nicht gedankenlos das Essen in mich hineinstopfen. Ich weiß um die Menschen, denen es nicht so gut geht wie mir. Beim Danken schenkt mir Gott die Fantasie, wie ich anderen Menschen helfen kann. Er öffnet mir mein Herz, damit ich nicht nur egoistisch an mich denke.

Das Nächste, was noch zu sagen ist: Beim Essen das Beten nicht vergessen. Es wird alles geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet, schreibt hier Paulus.

Ja, das Tischgebet. Da haben wir doch unsere Probleme.

Problem Nr. 1: Wir gehen zum Mittagessen ins Restaurant. Wir suchen uns Geschmackvolles aus, dann kommt die Bedienung und bringt einen herrlichen Teller, bei dem das Wasser im Munde zusammenläuft. Aber jetzt wird es peinlich. Ein verschämter Blick nach rechts, dann einer nach links. Vielleicht falten wir verschämt unter der Tischkante die Hände und denken uns in aller Stille ein Tischgebet. Nach diesem großen Glaubensakt atmen wir frei durch. Jetzt, jetzt kann das Essen endlich beginnen! Warum nur genieren wir uns so beim Tischgebet? Wir haben doch einen großen Vater im Himmel! Schämen wir uns wegen dieses Vaters?

Problem Nr. 2, das ich leider aus persönlicher Erfahrung nur zu gut kenne. Wie sieht unser Tischgebet aus? Läuft es Gefahr, zu einem gedankenlosen Ritual zu verkommen? Beim Tischgebet muss auch ich manchmal nachfragen: Haben wir jetzt schon gebetet oder nicht? Und manchmal machen wir es so: In so einem Fall beten wir noch einmal, aber bewusst und nicht gedankenlos.

Warum überhaupt zu Tisch beten? Unter den alten württembergischen Pfarrern gab es einen großen Pädagogen voller Originalität: Johann Friedrich Flattich. Er hatte in seinem Pfarrhaus Schüler aufgenommen. Wieder einmal begann er die Arbeit mit einer neuen Gruppe Jugendlicher. Frau Flattich schöpfte das Mittagessen in die Teller. Heißhungrig stürzten diese Buben auf das Essen. Schmatzend schlangen sie ihr Essen hinunter. Flattich sagte nichts. Nach dem Essen ging er mit seinen Jungs in den Schweinestall. Er warf den Schweinen das Futter hin. Als sie sich quiekend darauf stürzten, sagte Flattich nur: »So wie ihr! So wie ihr! Sie danken ihrem Schöpfer auch nicht!«

Das unterscheidet uns von den Tieren, dass wir unseren Gott über dem Essen loben. Ja, Paulus sagt, dass das Essen durch unser Gebet geheiligt werde. Es wird Gott geweiht, es wird unter den Segen Gottes gestellt und wird so uns zum Segen.

Wenn wir Gott für unser Essen danken und darum beten, dass Gott es segnet, dann werden unsere Mahlzeiten mehr als nur Kalorienaufnahme, mehr als Genuss. Dann sind sie vielmehr wie ein Gottesdienst, bei dem wir Gott ehren und er uns segnet.

Amen